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Thursday 15. November 2012

Wenn K Fußball schaut, dann ist sie selbsredend für Hertha BSC, sie ist schließlich gut sozialisiert. Sie freut sich bei Toren und will natürlich zurück in die erste Liga. Denn Hertha spielt neuerdings bekanntlich in der zweiten Liga und ist da natürlich eine der besseren Mannschaften. Seitdem gibt es auch wieder viele Siege, ganz ungewohnt ist das. Für mich ein Grund zur Freude. Auch K freut sich über Tore, aber Tore haben es nun in sich, dass ein Gegner diese kassieren muss und so sehr sich K auch über Tore freut, so sehr leidet sie mit dem armen Gegner, der Herthas Tore einstecken muss. Zur Hälfte des Spieles wechselt sie immer die Seiten.

Früher war es schlimmer. Wenn Hertha führte, sagte sie, jetzt sollte der Gegner ein paar Tore schießen, damit das Spiel wieder spannend werde.
Ich sagte zu ihr: das geht so nicht mit Fußball. Jeder Sieg ist wichtig.
Sie sagte: stimmt, geht gar nicht.
Das hat sie dann auch nicht mehr gemacht. Aber vielleicht war das auch nicht so schlimm wie das, was sie jetzt macht.

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Sunday 4. November 2012

Ah und auf die Hände hat man mir oft geschaut und dann festgestellt: mit den Händen arbeitest du aber nicht.

[hr hr hr]

Satanisches Gelächter. Das _du_ wurde dabei in Großbuchstaben ausgesprochen. Hätte ich Wunden am Kopf, hätte ich sagen können, ich arbeite mit dem Köpfchen. Psychoknacks habe ich auch keinen, jedenfalls keinen offensichtlichen, oder wenigstens keinen auffälligen, allerdings frage ich mich, ob ich einen Psychoknacks bekomme hätte, wenn man mich zwanzig Jahre lang mit den Händen arbeiten ließe.
-> weiß ich nicht. Nur als halbgare Spekulation in den Raum geworfen. Vermutlich nicht.

# AUS. Jetzt wird es ernst. Ich war dann doch ziemlich gerührt von den vielen Freunden und Bekannten, die alle ihre Häuser gebaut haben. Und das meine ich jetzt keinesfalls ironisch, mich begeistert dieser unbedingte Vorwärtsgang. Aus der Schule raus, ein Partner, die Kinder und dann das Haus. Ich glaube durchaus, dass dieses Leben Substanz hat. Es ist nicht so meins, aber die Lebensträume hören nach dem Hausbau ja nicht gleich auf, es gibt noch genug Wege zu gehen, auch wenn es der Zusammenbruch ist, etc. zudem gibt es hinter den Fassaden gute Geschichten. Aber dieser Traum, dieser Traum, das Eigenheim und diese Unbedingtheit der Harmonie; ich könnte das ewig mit ansehen.

Andererseits ist da mein alter Schulfreund, der mit dem Hausbau wartete, weil es mit der Frau nicht klappte. Ein Haus baut man nicht alleine, da es in gewisser Hinsicht ja ein Fundament für diese Zweisamkeit bedeutet, so etwas wie die Infrastruktur zum Liebesglück (auch hier wieder: ich meine das nicht ironisch). Mit siebenunddreißig wurde ihm die Warterei dann zu blöd und baute sich schon mal ein Haus. Nun vermietet er die unteren Stockwerke an Saisonarbeiter. Wenn die Frau dann kommt, verlängert er die Mietverträge nicht mehr.

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[wenn dann noch der Schnee kommt]

Monday 29. October 2012

Nach dem Spiel essen wir eine Wurst unweit der Brennerautobahn. Dann holt mich meine Schwester ab, die mich auf den Berg, ins Dorf meiner Eltern bringt. Es ist bereits dunkel, im Eggental beginnt es zu schneien, meine Schwester erwähnt, dass sie noch auf Sommerreifen fährt, wir lachen, haha. Ungefähr auf tausend Meter Höhe erwischt uns dann der Schneesturm, wir geraten ein paarmal ins Schleudern, die Reifen bekommen keinen festen Griff mehr auf die Straße. Wir fahren noch etwa einen Kilometer, bei der Weggabelung, wo früher die alte Mühle stand, halten wir an und suchen nach den Ketten. Im Wagen befinden sich aber keine Ketten. Mein Vater ist in Brixen, meine Mutter im Pustertal. Sie kommen erst spät in der Nacht nach hause. Wir wagen einen weiteren Versuch. Meine Schwester schafft es, mit schleifenden Reifen ungemein stabil zu fahren, wir kriechen mit schleifenden Rädern das finstere Tal hoch, vor uns die dicken Flocken und eine fünfzehn Zentiometer dicke Schneeschicht auf der Straße, ich klebe faktisch von Innen an der Frontscheibe, damit sich mehr Gewicht auf der Vorderachse befindet. Ein paar Kilometer geht es gut, aber in der großen Kurve oberhalb von Schwarzenbach ist die Steigung zu steil, meine Schwester dreht das Auto ab, auf einem kleinen Schotterplatz neben der Straße stehen wir still. Wir beschließen ein Stück die Straße hinauf zu laufen, und eventuelle Autos anzuhalten. Es ist finster im Eggental, aber das habe ich schon gesagt. Meine Schwester trägt ein Leibchen und darüber Wickeltuch. Ich habe immerhin eine dünne Jacke und darunter ein Hemd mit Pollunder. Drei Autos fahren an uns vorbei, erst ein Bauer mit seinem Jeep hält an und lässt uns einsteigen. Zuhause kocht sich meine Schwester einen Tee. Ich esse eine Mortadella im Brot.

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Vorher war ich mit Haimo für das Spiel des FC Südtirol gegen Calcio Como verabredet. Dritte italienische Liga im denkmalgeschützten Drususstadion. Da die teuersten Karten lediglich zwanzig Euro kosteten, was im Vergleich zu Karten fürs Olympiastadion ein Witz ist, kauften wir die besten Plätze (Haupttribüne, Mitte, halbe Höhe, aber nahe am Rasen). Zu unserer Überraschung waren unsere Sitze (Schalensitze aus Hartplastik) mit roten Kissen bezogen. Total Royal. Das nahmen wir bei den mittlerweile abgestürzten Temperaturen dankend an. Anpfiff. Viel Kampf im Mittelfeld, aber nur eine einzige Torchance in der ganzen ersten Halbzeit, als der FCS einen ziemlich gut kombinierten Angriff an der Latte der Comaner abschloss. Wir redeten über Faschisten in Como und internationale Ligasysteme. Zudem reden wir über die fehlende Fußballkultur in Südtirol. In der zweiten Hälfte gibt es einige sehr gute Szenen, am Ende trennt man sich 0:0.

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[so lange der Berg nicht ruft]

Thursday 25. October 2012

Früher fuhren wir hier oft zum Kiffen hoch. Ich mochte diese Weite auf dem Lavaze Pass immer gerne. Wenn man sich der Baumgrenze nähert, wie die Vegetation sich lichtet und stünden nicht die die paar Gasthäuer herum, man wähnte sich auf dem Mond. Ein sehr südtirolerischer Mond. In späteren Jahren fuhren wir zum Kiffen allerdings noch weiter hoch auf das Jochgrimm, da auf dem Lavaze zu oft Carabinieri auftauchten. Auf dem Jochgrimm verließen wir meist das Auto und setzten uns unterhalb der Felsen des Weißhorns zwischen die Kühe. Da blieben wir lange und schauten auf das Tal hinab.

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Wir fahren auf einem schlechten Schotterweg durch den Wald. Vater zeigt mir das Waldstück, das er dieses Jahr zum Abarbeiten zugewiesen bekommen hat. Er beklagt sich über den Förster, der ihm zu viele kleine Bäume markiert hat, das sei viel Aufwand für wenig Ertrag. Er schaffe das auch nicht mehr bis zum Winter, er können nur noch die bereits bearbeiteten Stämme abtransportieren, die er im Winter dann im Dorf zu ofenfertigen Stücken zerkleinere. Er sei aber froh, dass es wenigstens keine Kiefern oder Lärchen seien, sonder Fichten, die wegen der festeren Rinde bevorzuge.

Oben hinterm Jochgrimm liegt schon Schnee. Zumindest auf der Schattenseite der Hänge. Wir sitzen auf einer Holzbank, er raucht wieder und wir reden über Politik. Bevor wir uns streiten, wechsle ich das Thema und frage ihn nach seiner Kieferoperation, wir reden über Implantate, über die Preise von Slowenischen Zahnärzten ich schwärme von Lachgas, die Themen sind unverfänglicher.

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Totes Moos. Auf den Wegen der Bergwälder mit meiner Mutter. Wir begegnen dem Stattner Bauer, der jetzt da draußen nur noch alleine lebt. Früher war er mal Lehrer, er hat aber nie eine Frau gefunden und da jetzt alle um ihn herum gestorben sind, lebt er alleine mit seinem Hund und den Kühen im Wald. Als wir mit dem Auto ankommen hat er uns längst registriert. Er steht im Hauseingang und begutachtet uns. Sobald er meine Mutter erkennt, entspannt er sich und grüßt freundlich. Sie fragt, ob wir das Auto hier stehen lassen können, wir möchten zum Toten Moos hinunter laufen. Das ist kein Problem, ich soll das Auto hinter den Misthaufen stellen, ich sage, ich sei Fahranfänger, aber ich gäbe mein Bestes. Er beäugt mich kritisch und gibt mir Anweisungen, wie ich das Auto von der Straße abzudrehen habe. Dann parke ich das Auto fast in den Kuhmist. Er lacht. Ich lache auch. Immerhin.

Danach wandern wir hinuntern bis nach Bauernkohlern, an den Klippen der Rotwand entlang. Wir machen die ganze Runde und steigen das lange, finstere Wolfstal hinauf bis zurück zum Toten Moos.

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Am nächsten Tag essen wir Pellkartoffel mit Speck und Käse zu Mittag. Während des Essens kommt die Nachbarin. Seit ihr Mann sie verlassen hat, ist sie Haarfärberin und färbt den Frauen im Dorf die Haare. Sie hat einen Termin bei meiner Mutter. Ich entschuldige mich, dass wir gerade essen, meiner Mutter und der Färberin ist das aber egal. Meine Mutter bindet sich eine Schutzfolie aus Plastik um und isst weiter. Die Nachbarin mischt chemische Substanzen in einer Tupperware Schüssel und schmiert eine graubraune Masse in die Haare meiner Mutter. Sie plaudern fröhlich und meiner Mutter isst Pellkartoffel mit Speck und Käse.

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Wolfstal

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Sunday 7. October 2012

Sagtmal, könnt ihr im Traum auch immer so schlecht rennen? Richtiges Rennen, also wenn beispielsweise Gefahr herrscht, oder man ganz schnell irgendwo hinrennen muss. Letzte Nacht schaute ich zum Beispiel am Waldrand ein wenig nach dem Rechten, ich war eine Art Förster und lief vor dem Schlafengehen mit der Handylampe den Waldrand ab. Dann stieß ich auf ein Nest in einem Baumstumpf, das ich üblicherweise von Hasenkindern bewohnt wusste. Darin bewegte sich allerdings etwas formloses, unbehaartes. Als ich dann im Schreck die Handylampe hochfahren ließ, sah ich, wie eine Bärenmutter auf mich zukam. Daraufhin musste ich selbstredend rennen. Was mir im Traum faktisch nie möglich ist. Mittlerweile habe ich mir eine Technik zugelegt, die es mir beim Rennen wenigstens ermöglicht voranzukommen. Ich helfe mit den Händen mit. Ich ziehe mich an längeren Grasbüscheln, oder Pflanzen, die vom Wegesrand in meinen Pfad hereinragen, voran. So mache ich das.

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[sprachspiele1]

Tuesday 2. October 2012

Möglicherweise erinnert ihr euch noch an letzten Herbst, an dem ich als Chronist vom Literaturfestival Sprachspiele1 in Südtirol berichtete. Ich hätte dieses Jahr wieder daran teilnehmen sollen und die Gegenwart verbloggen, bin dieses Jahr aber, sehr zu meinem Ärger, beruflich verhindert. Falls jemand aber ab Morgen in Meran ist, schaut mal vorbei, das sind supergute Leute, die supergute Dinge machen.

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[so war das]

Monday 24. September 2012

Es war neulich an einem Samstagnachmittag. Das Wetter war grau.
Der Nachbar und ich waren zu einer Hochzeitsfeier geladen. Wir saßen beide alleine zuhause, und waren beide ein wenig betrübt. Dann haben wir ein kleines Geschenk bereitet, er suchte für das Paar ein Foto aus und ich schrieb ein Gedicht (vom Fotografen und vom Dichter), dann machte wir uns schick und fuhren mit dem Fahrrad zur Feier in einem alten, verwunschenen Hinterhaus im Wedding. Wir redeten den ganzen Nachmittag, tranken vom Wein, schauten dem Paar zu und sprachen mit den Gästen, aßen die Speisen und als die Musik lief, tanzten wir. Bis es spät war und wir durchschwitzt und glücklich nach Hause fuhren.

So war das.

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[jetzt war ich aber wirklich lange weg]

Monday 17. September 2012

Ich habe ja keine Ahnung von Fußball, aber bei Bernies Tipprunde habe ich ein äußerst erfolgreiches Tippsystem entwickelt und da ich jetzt so lange weg war, möchte ich euch an meinem System teilhaben lassen. Man weiß ja nie, wozu ein erfolgreiches Tippsystem dienlich sein kann. Nächstes Jahr (wenn Hertha wieder in der ersten Liga spielt), werde ich euch frühzeitig an das Tippspiel erinnern, damit ihr es euch, nun ja, dienlich sein lassen könnt. Mein System beruht im Wesentlichen auf drei Säulen:

1) Tippe nie auf Ausgleich. Ausgleich kommt statistisch nicht so oft vor, zudem kann man Ausgleich sehr schlecht vorhersagen, auf Ausgleich zu tippen ist üblicherweise eher eine Verlegenheitslösung. Ausgleich bringt auch weniger Punkte. Es ist daher ratsam auf einen Sieg zu tippen. Auf irgendeinen (siehe dafür Strategipunkt 2 oder 3)

2) Tippe immer für Hertha. Man tippt immer für Hertha. Immer. Als Hertha noch in der ersten Liga spielte, hat mir dieser Strategiepunkt viele Punkte gekostet. Da Hertha nun aber in die zweite Liga abgestiegen ist und das Tippspiel schließlich nur die erste Bundesliga umfasst, bin ich zum Tabelleführer in der Tipprunde aufgestiegen. Das war eine interessante Erkenntnis.

3) der Rest ist Bauchgefühl.

Das System unterliegt keinem Copyright.

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[N2O]

Thursday 23. August 2012

(Jaja, schon wieder) Der Chirurg schlug vor, mir während des Eingriffes Lachgas zu geben, ich würde mit vollem Bewusstsein dabei sein, das Gas würde mich aber ungemein beruhigen und mir die Angst nehmen. Ich kannte Lachgas nicht, den Gedanken, keine Angst zu haben, fand ich aber super.

Nach den ersten paar Atemzügen durch die Maske, begann das gleichmäßige Pumpen der chirurgischen Geräte in mich über zu gehen, mein Atem vertiefte sich, meine Gelenke bekamen Wattebäuschchen, dem Pumpen fügte sich ein sanftes Rauschen bei, einer Beatmungsmaschine gleich. Der Chirurg und die Helferin bereiteten alles vor, mein Körper driftete ab, ich selbst blieb aber da, ich sah die Welt nur noch durch die Schlitze, die meine Augenlider freigaben. Auf meiner Seite der Augenlider tat sich ein Weltall auf, der Arzt erklärte mir den Verlauf, ich war aber da draußen im Weltall, konnte durch die Schlitze der Augenlider in diese Welt hineinschauen.
Der Doktor machte mit mir. Wir waren in einer kosmischen Ursuppe vereint.

Nachher fragte er mich, wie mir das Lachgas gefallen habe, ich sagte: das war gut, das war gut. Ich muss noch sehr benommen gewesen sein, ich hob die Hand und sagte, es sei wie die Anfangssequenz in Lars von Triers Melancholia gewesen, das Unheil habe geatmet. Und das alles zu Wagners Musik.
Er sagte, das sei interessant, und fügte hinzu, er habe den Film nicht gesehen, wollte ihn aber immer schon mal ansehen. (Ich will gar nicht wissen, was er auf Parties seinen Gästen für Anekdoten erzählt).

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[ein kleiner Schnitt für die Menschheit]

Tuesday 21. August 2012

Dann ist da noch die Sache mit meinem Nabel. Ich lasse niemanden an meinen Nabel. Als Laienpsychologe sage ich, es liegt eine Störung bei der Abnabelung vor, aber das Verhältnis zu meiner Mutter ist unaufgeregt normal, ich würde fast sagen, es sei erschreckend gesund. Okay, vielleicht sehen und hören wir uns zu selten, aber das liegt auch daran, dass alles so gesund und normal zwischen uns ist, und es deshalb keine unmittelbare Anlässe gibt, sich zusammenzuschließen. Aber an meinen Nabel darf niemand ran, ich bin da sehr empfindlich. Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen spielt sich in der Badewanne ab, dass jemand (meine Mutter?) mir den Nabel ausputzen will und ich dagegen strample. Ich kann mich auch an ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Erwachsenen erinnern, die sich besorgt darüber äußerten, der Kleine ließe sich nicht am Nabel anfassen. Jemand anders lenkte ein, dass man das aber nicht dabei belassen könne, wenn sich im Nabel Dreck ansammle, würde sich das entzünden usw. Zudem kann ich mich daran erinnern, dass man mich einmal zwang, den Schmutz anzusehen, der sich in den Nabelfalten abgelegt hatte und man an meinen Verstand zu appellieren suchte, diesen zu beseitigen. Hinzu kam nämlich, dass ich mir auch selber nicht in den Nabel fasse. Ich habe noch dieses Bild vor Augen, wie ich, –von Erwachsenen umgeben– in der Badewanne sitze, Schmutzreste in meinem Nabel anstarre und ich mich quäle, diesen herauszupulen.

Meine Eltern und ich lernten offenbar ziemlich schnell, solche Situationen zu umgehen. Diese bösen Erinnerungen hören ab einem gewissen Alter auf, ohne dass mir die Leute weiter an den Nabel gingen. Vermutlich bekam der Nabel gesonderte (und beiläufige) Aufmerksamkeit durch den Duschstrahl (einen Trick, den ich bis heute verwende), mein Nabel blieb also sauber und musste von niemanden angefasst werden. So konnte ich über die Jahre den Nabel Nabel aus meinem Bewusstsein verdrängen.
Abgesehen von gelegentlichen Ängsten beim Einschlafen. Da verfolgte mich manchmal die Vorstellung, jemand wolle in meinem Nabel pulen, dabei lag ich mit dem Bauch auf dem Bett und stellte mir vor, wie jemand von unten durch die Matratze stechen würde und je mehr Matratzen ich einsetzen würde, desto länger werde die Stichvorrichtung des Unboldes. Doch ich bekam mich mit der Zeit besser im Griff und diese Vorstellungen kamen nur noch selten in mir herauf.

Bis die Frauen in mein Leben kamen. Statistisch gesehen, wollten 80% an meinen Nabel. Der Großteil wollte auslecken (!), ein weiterer, nicht unerheblicher Teil steckte einfach unangekündigt den Finger in den Nabel (als wäre es eine Liebesgeste), dreimal kam es sogar zu Eiswürfeln (!) in meinem Nabel, nur etwa 20% war der Nabel egal. Es gab auch solche, denen es Freude (Lust) bereitete, wenn ich nach einer Nabelberührung gequält aufschrie. Von denen habe ich mich schnell getrennt.

Aber jetzt ist es passiert (Patzbumm). Letztes Jahr hob ich einen Stuhl über ein Geländer, danach fühlte sich mein Bauch komisch an. Am Abend schaute ich in den Nabel und dann sah ich, dass der Nabel eine Beule hatte. Das heißt, der Nabel hatte eine Delle. Von innen ausgebeult sozusagen. Ich schluckte, ignorierte das komische Gefühl im Bauch und nach ein paar Tagen war das komische Gefühl wieder weg. Aber die Beule blieb.
Ein halbes Jahr später kam das komische Gefühl wieder, blieb eine Woche, ging dann wieder, kam aber nach zwei Monaten wieder zurück. Und ging dann wieder. Da ich ohnehin wegen einer Zeckenimpfung bei meiner Hausärztin war, erzählte ich ihr davon. Sie steckte ihren Finger in meinen Nabel (ich schrie, sie lachte), und dann sagte sie: Nabelbruch!
Ich hatte es geahnt, weshalb ich wohl nie damit zum Arzt gegangen bin. Es wurde nicht besser und es bestand die Gefahr, dass der Bruch größer werde, wenn man nicht einschreite. Es müsse also operiert werden. Termine mit den Chirurgen gemacht, die mir allesamt in den Nabel griffen (ich schrie, sie lachten). Man müsse wir in den Nabel schneiden (!) und den Darm zurück in den Bauch drücken. (“Durch den Nabel?” “Ja, durch den Nabel”).

“Ein kleiner Schnitt für die Menschheit. Ein großer Schnitt für einen Dödel.”

Als ich letzte Woche aus Schweden zurückkam, führte mein Weg mich direkt ins Krankenhaus. Ich wurde freundlich behandelt, aber ich blieb auf der Hut, ich wusste natürlich, dass mir alle eigentlich nur an den Nabel wollten. Zuerst wurde mein Bauch rasiert und danach die Stoppel mit einer Pinzette (!) aus dem Nabel entfernt. Weil Pinzette und Nabel eine äußerst heikle Konstellation ist, dauerte die Prozedur mindestens eine Viertelstunde. Zwischenzeitlich hatte die Krankenschwester vorgeschlagen, meine Arme und Beine ans Bett zu binden. Nachher nannte sie mich aber mutig. Wie oft sie Kaltes und Brennendes in mein Bauchloch gesprüht hatte, kann ich gar nicht mehr zählen, die Erinnerung an jenen Morgen ist bewusst vernebelt, es ist schlimm genug, dass ich sie für diesen Text wieder hervor krame.
Ich kam erst wieder zu mir, als ich zum Anästhesisten vorgeschoben wurde. Er verkörperte die Erlösung. Über ihm leuchtete eine Lampe, die sein Haupt erstrahlen ließ. Während er mir eine Kanüle in den Unterarm schob, erklärte er, was gleich passieren würde, ein Gefühl nämlich, wie wenn man ein Glas Sekt trinkt. Ich hatte binnen Sekunden ziemlich einen im Tee und wollte sagen, boah, das sind aber ein paar Gläser mehr. Aber ich meine, das habe ich nicht mehr gesagt.

Später hing hoch über mir ein Fernseher. Mein Bettnachbar schaute Prosieben. Der Laut war aus, ich schaute nur den Menschen zu. Ich probierte den Kopfhörer, um sie auch zu hören, aber das war zu viel Input, davon wurde mir schlecht. So sah ich den ganzen Tag den Menschen im Fernseher zu. Mein Nabel ist jetzt genäht, ich habe ihn nur einmal kurz angeschaut, habe einen verfremdeten Nabel vorgefunden und dann schnell die Augen geschlossen. Demnächst muss wieder jemand ran, um die Fäden zu ziehen. Irgendwann werde ich vermutlich erlöst.

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[einnordung]

Saturday 4. August 2012

Auf dem Weg nach Hamburg fällt mir der lästige Ohrwurm erst auf. Ich möchte mit diesem Ohrwurm nicht die ganze Zeit bis nach Schweden verbringen. Es ist das Lied “Nur nach Hause”, das die Hertha-Fans im Stadion singen, um die Mannschaft zu begrüßen, es handelt sich dabei um eine Umdichtung von Rod Stewards “I am sailing”. Im Stadion, gebrüllt aus sechzigtausend Kehlen bewegt mich das Lied immer sehr (wirklich wahr), aber in meinem Kopf wächst das Lied zu einem großen, grimmigen Wurm heran. Ich habe, wie üblich, wieder die Köpfhörer vergessen. In Hamburg muss ich umsteigen, ich habe eine halbe Stunde im Hauptbahnhof und versuche daher mein Glück bei Rossmann, wo sie jedoch nur diese großen Kopfhörer (in giftgrün und in pink) führen. Ich sage, ich sei auf Reisen, ich möchte nur Leichtgepäck, ob sie nicht auf die kleinen Ohrknöpfe hätten. Man sagt mir, man führe nur die großen, wenn ich andere haben wolle, müsse ich eben zu Saturn, aber Saturn öffne erst um zehn. Ich sage OK, haben sie diese in einer anderen Farbe als pink oder giftgrün? Man sagt mir nein, hätten sie nicht. Dann beschließe ich, nichts zu kaufen, verlasse den Laden und überlege, jemandem seine Kopfhörer abzuhandeln, finde das bei näherer Betrachtung aber ziemlich übertrieben und kehre zu Rossmann zurück, wo ich mich für die giftgrünen Kopfhörer für 7,95 entscheide.

Der Zug nach Kopenhagen ist voll. Ich will den Wurm sofort töten, setze die Hörer auf und schalte Lana del Rey an. Die Frau gegenüber schaut meinen giftgrünen Einkauf auf meinem Haupt an und lacht. Fünf Minuten später lacht auch ihre Sitznachbarin.

Vorne über mir hängt ein Namensschild von einem Koffer herab. Es steht die Anschrift und der volle Name einer Frau drauf. Ich schlage Sabine aus Bochum bei Facebook nach und finde sie sofort, es ist die junge Frau vom Nebentisch. Ihre letzter Eintrag ist von Freitagnachmittag, sie schrieb: “Urlaub !!!!”

Hach. Urlaub.

Im Abteil sitzt eine koreanische Großfamilie. Sechs Erwachsene und unzählige Kinder. Es piept und fliept und tutet. Die Kinder sind mit elektronischen Geräten ausgestattet. Tröt, Tüt, Pchhh. Ich schreibe das auf, weil ich das Klischee so witzig finde, realisiere aber, dass ich in den letzten Jahren noch nie so viele europäische Kinder zusammen auf einer Bahnfahrt gesehen habe. (Prompt piept mein Handy, als würde es eine Meinung zu dem Thema habe.)

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Monday 30. July 2012

Nun. Sky gekauft. Das Bundesliga Paket dazu gebucht. Jetzt bin ich endgültig in diese Sportmaschinerie eingestiegen. Jetzt finanziere ich aktiv mit. Ich bin angekommen, fühle mich übel, zappe mit einer Gefühlsmischung aus Abscheu und Freude durch die Spielzusammenfassungen der letzten Saison und erwarte nichts sehnlicher als das erste Spiel diese Woche Freitag. Hertha gegen Paderborn. Und für die DFB Pokalspiele buche ich mir natürlich das 15€ Sky Select-Paket dazu.

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