Schreiber
10.12.2010

Schwachpunkt: die Bildung

Deutschland hat einen Schwachpunkt: die Bildung. In der Diagnose sind sich die Politiker weitgehend einig. In der Therapie doktern sie aber mit verschiedenen Mitteln herum, statt den Schulen mehr Chancen zur Selbstheilung zu geben.

In den deutschen Schulen wird wieder Hand angelegt: In den Ferien sieht man vielerorts Eltern, die die Schulklasse ihrer Kinder renovieren, weil die Stadt das Geld hierfür nicht mehr aufbringen kann. Beginnt dann das Schuljahr, wird eine Toilettenumlage zur Bezahlung von Putzhilfen eingesammelt, denn der Schulträger steht für die Sauberkeit der Hygieneräume nicht mehr gerade. Und am Tag der offenen Tür in einem rheinischen Gymnasium müssen die 9er Klassen diesmal nicht antreten, weil es nicht genügend Räume gibt, die man Besuchern vorführen möchte.

Was an Zustände in der Dritten Welt erinnert, ist Alltag in einem der reichsten Länder der Erde. Obwohl die Politiker immer wieder betonen, im internationalen Wettbewerb komme es vor allem auf den Rohstoff in den Köpfen an. Aber nur ein ganz neuer Ansatz kann diesen Rohstoff fördern: Schulen und Schüler brauchen mehr Freiheit und zugleich mehr Ruhe vor politischen Experimenten.

Doch wenn man Willensbekundung an dem misst, was die Politik bereit ist, für ihr vermeintliches Herzensanliegen auszugeben, dann klaffen Worte und Taten weit auseinander. Das Ergebnis ist beschämend: Nach dem Bildungsbericht der OECD, der kürzlich für 2007 vorgelegt wurde, ist in Deutschland der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt wieder gesunken: von 5,3 Prozent 2001 auf nur noch 4,7 Prozent. Der Durchschnitt der 20 OECD-Länder liegt bei 5,7 Prozent, hinter Deutschland rangieren nur die Slowakei, Tschechien und Italien.

Ein Eingeständnis des Scheiterns ist der im Auftrag der Kultusministerkonferenz geschriebene Bildungsbericht 2010: Er sieht eine "zunehmende Kluft" zwischen Kindern und Jugendlichen, die Bildungsangebote erfolgreich nutzen, "und jenen, bei denen sich Benachteiligungen eher kumulieren". Dem sei "entschiedener" zu begegnen. Derzeit aber wachsen die Unterschiede in den Bildungschancen nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Migrationsstatus noch weiter.

Symbolträchtig für den Zustand des Bildungswesens ist, dass die Schule, die man die "Haupt"-schule nennt, häufig mit dem Adjektiv "sterbend" versehen wird. Sie ist vor allem in den größeren Städten die Einrichtung, in der Schüler landen, deren Eltern es versäumt haben, sich mit aller Kraft gegen den Abstieg zu wehren. Realschullehrer sagen, ihnen falle es immer schwerer, Kinder, die sich bei ihnen nicht bewähren, auf die Hauptschule zu schicken. Dies komme einem Verdammnisurteil gleich. Also bleiben die schwächeren Schüler und bremsen den Lernerfolg. Aufs Gymnasium, das einst dazu diente, eine Leistungselite heranzuziehen, gehen inzwischen rund 50 Prozent eines Jahrgangs – es ist zur neuen "Haupt"-schule" geworden.

Vielleicht erklärt dies, dass sich das Gymnasium der besonderen Aufmerksamkeit der Bildungsreformer erfreut. Deren letzter großer Coup war in vielen Bundesländern die Einführung von G8, die Verkürzung der bisherigen Gymnasialzeit bis zum Abitur von neun auf acht Jahre. Das fehlende Jahr müssen die Kinder jetzt vielerorts durch ausgedehnten Nachmittagsunterricht hereinholen – die versprochene Straffung des Lernstoffs lässt auf sich warten. "Wenn ein 13-Jähriger mehr als 40 Stunden hat, dann muss man doch nachdenken", fasst ein kritischer Schulleiter seine Erfahrungen zusammen.

Aufreizend wirkte auf viele Eltern die Überstürzung, mit der die Reform betrieben wurde. So warteten zwei Jahre nach dem Start die Schulen oft noch auf die passenden Bücher. Diese rücksichtslose Eile drängt den Verdacht auf, dass es den Politikern eher um ein Mittel zur Kostensenkung ging: Immerhin spart die Reform eine komplette Klassenstufe und somit viele Lehrerstellen ein.

"G8 ist noch lange nicht bewältigt", schallt es aus den Schulen. Dennoch gibt es schon wieder neue Überlegungen: Die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann trat zu Beginn ihrer Amtszeit im Sommer mit der Idee hervor, den Gymnasien im Land eine freiwillige Rückkehr zu G9 zu ermöglichen. Eine Lehrerin stöhnt: "Ich bin seit mehr als zehn Jahren Beratungslehrerin für die Oberstufe – und habe noch keinen Jahrgang nach dem gleichen Schema zur Prüfung bringen können. Nie ist was besser geworden. Schulpolitik ist grauenvoll."

Der bildungspolitische Eifer in vielen Bundesländern hat eine einfache Ursache: Die Schulpolitik ist die wichtigste Aufgabe, die den Ländern noch geblieben ist. Oft ist sie die einzige Chance für Landesparteien, sich von der Konkurrenz abzuheben. Nach gewonnener Wahl müssen dann Versprechen erfüllt werden, womit neue Unruhe in die Schulen getragen wird.

Weil die Länder hier sehr selbstbezogen agieren, sieht die Bildungslandschaft überall anders aus. Ein Wohnortwechsel über eine sonst nicht mehr wahrnehmbare Landesgrenze hinweg bedeutet für Schüler oft, in ein gänzlich anderes Schulsystem zu geraten – nach dem Umzug beginnt die Aufholjagd.

Auch sonst produziert der Föderalismus manch fragwürdige Blüte. Eine Landespolitikerin erzählt, wie sich die Länder die Lehrer mit gesuchten Qualifikationen "gegenseitig abjagen". Dies geschieht etwa, indem man angestellte Pädagogen im Nachbarland, die dort aus Altersgründen nicht mehr verbeamtet werden, ganz offen mit dem Hinweis lockt, bei einem Standortwechsel über die Grenze sei dies sehr wohl noch möglich. Zehn Jahre Unterschied zum Nachbarland können da schon einmal drin sein. Die Hessen etwa machen noch 45-Jährige zu Beamten.

quelle und weiter lesen unter:www.handelsblatt.com/meinung/essays/essay-schulpolitik-ist-grauenvoll;2693157

Tags: Schwachpunkt

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