Die scharia als parafaschistische Ordnung

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Prof. Egon Flaig

Menschenrechte sind universal. Sie lassen sich durch nichts einschränken. Deswegen kann es keine spezielle islamische Interpretation geben. Denn diese Religion ordnet alles der scharia, der Rechtslehre des Islam, unter und setzt somit die Universalität der Menschenrechte außer Kraft.

Mich interessiert jetzt nicht die außerordentlich spirituelle Theologie des Islam, sein radikaler Monotheismus mit der reinsten Transzendenz: ohne Trinität, ohne Opfertod, ohne Heilige. Das bewundere ich; und es fasziniert mich. Aber genau darum geht es nicht. Sondern es geht um die Juridifizierung der sozialen und politischen Ordnung, um die scharia.

Daß die scharia selber historischen Modifikationen unterliegt, ist selbstverständlich. Aber die vier islamischen Rechtsschulen selber bezeichnen diese Ordnung als scharia, als göttliche Ordnung, von Menschen ausgelegt. Daß die Auslegungen sich verändern, ist eine banale Einsicht. Entscheidend ist die Konstanz der Tradition um wichtige Kernpunkte, eine Tradition die aufrechterhalten wird durch das, was Jan Assmann die Textpflege im kulturellen Gedächtnis nennt. Es geht mir auch nicht um die scharia insgesamt, sondern um zwei Dinge:

den Auftrag, Krieg gegen die Ungläubigen zu führen, bis die ganze Welt unter islamischer Herrschaft steht, dieser Krieg heißt jihad
► Koranverse zum “Heiligen Krieg” mit Exegese

um die dhimmitude, das ist der französische Begriff für den Status der Nicht-Muslime unter muslimischer Herrschaft
dhimmitude und Schutzgelderpressung

Seit Beginn der klassischen Zeit (9. bis 11. Jahrhundert) teilen die muslimischen Juristen die Welt in zwei Teile, nämlich das “Haus des Islam” und das “Haus des Krieges”. (…) Diese Zweiteilung hängt nicht davon ab, wo Muslime in großer Anzahl sind oder gar die Mehrheit darstellen, sondern davon, wo der Islam herrscht – in Gestalt der scharia – oder wo er nicht herrscht. Diese Dichotomie ist also keine religiöse, sondern eine politische. Zwischen diesen beiden Teilen der Welt herrscht naturgemäß so lange Krieg, bis das Haus des Krieges nicht mehr existiert und der Islam über die Welt herrscht (Sure 8, 39 u. 9, 41). Daher besteht nach klassischer Lehre für die muslimische Weltgemeinschaft die Pflicht, gegen die Ungläubigen Krieg zu führen bis diese sich bekehren oder sich unterwerfen. Dieser Krieg heißt jihad.

Die Gemeinschaft der Muslime (umma) ist folglich eine politische Gemeinschaft; das heißt, in ihrem Inneren kann es keinen Krieg geben – ausgenommen dem gegen Rebellen und gegen Häresien. Einzig der Krieg zur Unterwerfung der Ungläubigen ist legitim gewesen und obendrein Pflicht. (…) Ist es eine individuelle Pflicht oder eine kollektive? Wenn es eine kollektive Pflicht ist, dann muß die muslimische Gemeinschaft in regelmäßigen Abständen Angriffskriege gegen die Ungläubigen führen. Wenn es eine individuelle Pflicht ist, dann müssen die Gläubigen auf eigene Faust Krieg gegen die Ungläubigen führen, falls die Emire zu lange Frieden mit dem Feind halten. Fatalerweise besteht darüber innerhalb der orthodoxen Tradition seit dem 9. Jahrhundert keine Einigkeit. Viele Rechtsgelehrte definieren den jihad als individuelle Pflicht jedes tauglichen Muslim. Konsequenz dieser Lehre: wenn jeder einzelne Muslim alleine oder gruppenweise auf eigene Faust kriegerisch agieren muß, dann sind Attentate und Terroranschläge das Richtige. Al Qaida ist keine Verirrung, sondern entspricht dieser Traditionslinie. (…) Wer das abstreitet, kennt seine eigene Geschichte nicht. (…)

Der Kriegszustand dauert an, bis das Haus des Krieges vernichtet und die Welt erobert ist. Folglich sind Angriffskriege selbstverständlich und theologisch gerechtfertigt gewesen. (…) Friedensverträge, welche islamische Herrscher mit nicht-islamischen abschlossen, gelten nur als Waffenstillstände; deshalb wurden sie in der Regel für höchstens zehn Jahre abgeschlossen; zwei Rechtsschulen erlaubten nur drei bis vier Jahre Frieden. Die kurzen Fristen ermöglichten es den militärisch überlegenen Muslimen die Gegenseite unentwegt zu erpressen; auf diese Weise sind im Laufe der Jahrhunderte riesige Mengen an Geldern und Menschen an die muslimische Seite geflossen. Als sich die Kräfteverhältnisse verschoben, mußten muslimische Herrscher die Praxis ändern. So schloß 1535 Suleiman der Prächtige mit dem französischen König einen Frieden, der so lange gelten sollte, wie der Sultan lebte – ein Bruch mit der Tradition. (…)

Immer wieder wird bestritten, daß der jihad heute noch aktuell sei. Doch Peters kam in seiner großen Studie zum Ergebnis, daß auch im 19. und 20. Jahrhundert sehr viele Rechtsgelehrte der klassischen Doktrin anhängen. Er schreibt in seinem Buch “Islam and Colonialism”: “Modernistische Autoren unterstreichen den defensiven Aspekt des jihad und betonen, jihad außerhalb des islamischen Territoriums sei nur gestattet, wenn die friedliche Verbreitung des Islam behindert wird oder wenn Muslime, die unter Ungläubigen leben, unterdrückt werden. Demgegenüber weichen fundamentalistische Autoren kaum von der klassischen Doktrin ab und betonen den expansionistischen Aspekt.”

Der Haken dabei ist: die Modernisten vertreten in der Konsequenz genau dieselbe Lehre wie die Fundamentalisten. Denn der jihad ist ja berechtigt, wenn Muslime unterdrückt werden. Und ob Muslime unterdrückt werden, wer entscheidet das? Das entscheiden nicht die Gerichte in den säkularen Verfassungen, das entscheiden nicht die Menschenrechte. Das entscheiden die Normen der scharia. (…)

Die dritte Islamische Gipfelkonferenz von 1981 bekräftigte in ihrer 5. Resolution die Gültigkeit der jihad-Doktrin für die Gegenwart: “Die islamischen Länder haben in ihrer Resolution klargestellt, daß das Wort jihad in seinem islamischen Sinn gebraucht wird, der keine Interpretation oder Mißverständnis zuläßt, und daß die praktischen Maßnahmen zu seiner Erfüllung zu ergreifen sind in Übereinstimmung damit und in ständiger Konsultation zwischen den islamischen Ländern.” Das sagten nicht ein paar Spinner. Das sagten offizielle Vertreter von Staaten. Das war 20 Jahre vor dem 11. September 2001. Wenn das Leugnen aufhört, beginnt die Selbstbesinnung. Wir dürfen gespannt sein, wie diese Vergangenheitsbewältigung aussieht.

Der jihad führt zur Konversion, zur Tötung, zur Versklavung oder zur dhimmitude. Was ist das? In der scharia sind die Muslime die Herren, die Anhänger anderer Buchreligionen (Christen, Juden, Parsen) die Unterworfenen (dhimmi); dabei handelte es sich in der klassischen Zeit des Islam nicht um religiöse Minderheiten, sondern gewaltige Mehrheiten, vor allem in Syrien, Anatolien, Nordafrika (Christen):

Die Unterworfenen durften keine Waffen tragen, sie waren wehrunfähig, somit keine vollwertigen Männer; ihre Schuhe und ihre Kleider mußten speziell geschnitten sein, um sie kenntlich und lächerlich zu machen; Christen und Juden mußten besondere Farbmerkmale tragen (aus dieser Diskriminierung entstand der Judenstern). Ihre Häuser mußten niedriger sein, ihre Türschwellen abgesenkt. Sie durften nicht auf Pferden reiten, sondern nur auf Eseln, damit sie ständig an ihre Erniedrigung erinnert wurden. Sie zahlten einen besonderen Tribut, den sie persönlich entrichten mußten, wobei sie einen Schlag an den Kopf erhielten. Sie mußten vor Muslimen den Kopf senken und auf der linken Seite gehen. Sie mußten sich von Muslimen schlagen lassen ohne sich wehren zu dürfen; schlug ein Dhimmi zurück, dann wurde ihm die Hand abgehackt oder er wurde hingerichtet. Die Zeugenaussage eines Dhimmi galt nicht gegen Muslime. Muslime brauchten für Vergehen an einem Dhimmi nur halbe Strafe zu tragen; und wegen eines Dhimmi konnten sie nie hingerichtet werden; umgekehrt waren grausamste Hinrichtungsarten überwiegend den Dhimmi vorbehalten.

Die dhimmitude ist kein Nebenprodukt der islamischen Eroberungen, sondern ein offen verkündigtes Ziel des jihad selber. Die dhimmitude versetzte die Nicht-Muslime in eine radikale Inferiorität: Die Menschen in diesem Zustand als “Bürger zweiter Klasse” zu bezeichnen ist Schönrednerei. (…) Islamische Toleranz hieß: Duldung der Unterworfenen als Gedemütigte und Erniedrigte.

Sprechen wir von der Diskriminierung der Juden? 400 Jahre nach dem Islam schritt die Westkirche auf dem IV. Laterankonzil 1215 zu Maßnahmen, die uns barbarisch anmuten. Aber sie waren weitgehend eine Kopie der muslimischen Diskriminierungen. Mit einem Unterschied: wenn man die rechtlichen Bestimmungen vergleicht, dann ging die Entrechtung und Erniedrigung der Juden im Spätmittelalter nicht so weit wie in der dhimmitude. (…)

Kenner der Materie wissen das schon seit langem. Und die Leugner kommen immer mehr unter Druck und müssen ganze Forschungen diffamieren. Das passiert immer, wenn Durchbrüche in der Forschung sich anbahnen und wenn Paradigmenwechsel sich vollziehen. Das neue Paradigma könnte lauten: die rechtlich fixierte Unterdrückung Andersgläubiger – ausgenommen die Häresien – war unter dem Halbmond deutliche schwerer als unter dem Kreuz. (…)

Als Unterdrückungszustand hielt sich die dhimmitude mehr als tausend Jahre lang, bis der Druck der europäischen Mächte auf das osmanische Reich und schließlich die direkte Besetzung osmanischer Gebiete zu einer allmählichen Abmilderung der dhimmitude führte. Die islamischen Gesellschaften haben die dhimmitude nicht freiwillig abgeschafft, ebenso wenig wie die Sklaverei. Sie sind dazu gezwungen worden vom europäischen Imperialismus. (…)

Die scharia beinhaltet die dhimmitude. Egal wie abgemildert die scharia hier und dort ist: sie ist auf radikalste Weise anti-demokratisch und anti-menschenrechtlich. Die dhimmitude lebt wieder auf. Islamische Länder haben als letzte die Sklaverei abgeschafft; und einige von ihnen führen sie seit 15 Jahren wieder ein, so im Sudan. Die scharia lässt das zu; sie ist eine parafaschistische Ordnung. (…) Der scharia-Islam ist einer der schlimmeren Feinde von Menschenrechten und Demokratie.

Viele Muslime leugnen die dhimmitude. Aber es nützt genauso wenig etwas, wie den Genozid an den Armeniern zu leugnen oder den Genozid an den Juden. Die Leugnung selber muß jeden aufmerken lassen, dem die Menschenrechte heilig sind. Denn wer leugnet, ist unfähig zu erkennen, wer er kulturell ist und wie er geschichtlich dazu wurde. Unter der Maske des Antiimperialismus beschuldigen Muslime und islamophile Intellektuelle den Westen.

Der Unterschied ist freilich, daß der Westen von Anfang an, seit dem 16. Jahrhundert seine eigene Selbstkritik leistete und darum zu den Menschenrechten gelangte. Und eben diese kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte wird durch Leugnungen über die islamische Geschichte systematisch behindert. Wer die historische Wahrheit einfordert, wird als Kulturkrieger bezeichnet. Genau umgekehrt verhält es sich, Kulturkrieg führt, wer leugnet und wer Leugnungen mit Tabus und Sprechverboten zu sichern versucht. Wir erleben im Moment genau das. Wenn eine Seite diesen Krieg eröffnet, dann kann die andere Seite diesem Krieg nur ausweichen, indem sie einfach kapituliert. Wollen die europäischen Intellektuellen diese Kapitulation?

Im August 1990 verabschiedeten die Außenminister der “Organisation der islamischen Konferenz” in Kairo einen Entwurf einer “Erklärung der Menschenrecht im Islam”. Die Erklärung (…) steht unter dem Vorbehalt, daß sie mit der scharia übereinstimmen müssen. Der Artikel 24 lautet: “Alle Rechten und Freiheiten, die in dieser Erklärung genannt werden, unterstehen der islamischen scharia.” Und im Artikel 25 liest man: “Die islamische scharia ist die einzige zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung.”. Wenn die scharia den Menschenrechten übergeordnet ist, dann gibt es eben keine Menschenrechte, dann gilt eben die scharia. Stellen Sie sich vor, Franco, Hitler oder Stalin hätten die Menschenrechte ausgerufen; und Stalin hätte hinzugefügt: Alle diese Rechte unterstehen der kommunistischen Idee; und Hitler hätte hinzugefügt: Sie unterstehen der nationalsozialistischen Ordnung. Solche Menschenrechte sind keinen Pfifferling wert, weil die Verfasser sie im Prinzip leugnen. Anders gesagt: sie leugnen genau den Anspruch auf universale Menschenrechte, die von keiner Ordnung außer Kraft gesetzt werden dürfen.

In einer Diskussion berief sich in den 90er Jahren ein iranischer Ayatollah auf die Kairoer Erklärung, um die Ungleichheit zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu rechtfertigen: er argumentierte, die Menschen sind in ihrer Würde nur potentiell gleich, aktuell jedoch nach Graden der Tugend und der Rechtgläubigkeit verschieden. Da liegt der Hase im Pfeffer. Es gibt also keine Menschenrechte. Und es wird sie auch niemals als islamische Menschenrechte geben. Weil es absurd ist, nach islamischen Menschenrechten zu suchen. Menschenrechte sind weder christlich, noch europäisch, noch islamisch. Sie sind entweder universal oder sie sind nicht.

(Quelle: Frankfurter Rundschau 2006)

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