Edelfedern: “Wenig recherchieren, Ornamente und Schwurbel”

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Sie sind die Zierde jeder Redaktion – und sie wissen es haargenau. Denn nur ganz selten
taucht in der Journalisten-Heerschar jemand auf, der das Talent zur aussergewöhnlichen
Schreibe hat. Seine Artikel fallen auf, da diese Storys so ganz anders sind als die Vielzahl der schmucklos hingeworfenen Stücke. Edelfedern liest man nicht in erster Linie wegen der Inhalte, sondern wegen ihrer kunstvollen Form. Und damit sind wir beim Problem. Denn irgendwie kommen die beiden Dinge nie recht zusammen. So sind akribisch recherchierende Journalisten selten Meister der Sprache. Umgekehrt widmen sich die Edelfedern vor allem ihren Formulierungen, weil sie sich damit auszeichnen wollen. Wie aber gelangt man zu journalistischen Bestleistungen? Die Washington Post hat das Problem nicht nur erkannt, sondern begann vor einiger Zeit mit einem interessanten Experiment. Man schuf dort einen Pool von Edelfedern und Toprechercheuren und erhofft sich so eine neue Spitzenqualität.

In der Schweiz war Niklaus Meienberg die schweizerische Edelfeder par excellence. Das war ihm bewusst, und deshalb pochte er penetrant auf seinen Edelfeder-Sonderstatus. Korrekturen an seinen Meisterwerken durch irgendeinen weniger sprachmächtigen Redaktor quittierte er jeweils mit Zornesausbrüchen. Auch Margrit Sprecher, während Jahrzehnten gehätschelte Edelfeder bei der Weltwoche, lieferte wunderbar komponierte Artikel ab, deren Fehlerquoten meist im kaum mehr tolerierbaren Bereich lagen. Aber das tat ihrem Ruf bei Chefredaktoren und Preiskomitees keinen Abbruch. Geblendet von der Macht der Formulierungen sanken diese Sprachfetischisten allesamt vor ihr in die Knie.

Tom Kummer kultivierte den Edelfeder-Status am exzessivsten. Unzufrieden mit den laschen Antworten der Hollywood-Prominenz veredelte er seine faden Aussagen mit eigenen Worten, bis er zur Effizienzsteigerung gar keine Interviews mehr führte. Die auf diese Weise entstandenen Texte lasen sich so hervorragend, dass die von der Brillanz der Sprache faszinierten Chefredaktoren lange keinen Versuch unternahmen, die Faktenlage infrage zu stellen. Oder wie sagt die korrupte Hauptfigur im Mafia-Epos «Boardwalk Empire»: «Don’t let facts get in the way of a great story.»

Constantin Seibt vom Tages-Anzeiger ist heute die wohl meistgelesene Edelfeder des Landes. Mit einer gehörigen Portion Chuzpe erläuterte er sein journalistisches Prinzip bei der Wahl der Schweizer Journalisten des Jahres: «Wenig recherchieren, wenig schreiben, Ornamente und Schwurbel». War das etwa gar ein Geständnis und damit mehr als eine locker hingeworfene Provokation? Jedenfalls zeichnen sich die Texte von Seibt damit aus, dass er sich oft journalistischer Quellen bedient, die er nicht benennt, sondern als eigene Recherchen präsentiert. Und in einem Ganzseiter zum Thema Bankenmoral zitierte er vor einiger Zeit einen anonymen Banker mit einer Vielzahl von witzigen, gescheiten und hintergründigen Einsichten, wie sie noch kein anderer Schweizer Journalist von einem namentlich vorgestellten Banker vorzeigen konnte. Diese anonymen Zitate waren so gut, dass sie beinahe an die geschliffenen Interviewantworten in einem Tom-Kummer-Text heranreichten. Sie veredelten einen Edelfedertext, der sich als geistreiches, elegant komponiertes Kunstwerk las. Und dank Seibts Geständnisses weiss man nun zusätzlich, wie das Ganze wohl zu deuten ist. Und ein Risiko, dass jemand klagen könnte, man habe ihn falsch zitiert, besteht in einem solchen Fall wohl
auch keines.

Roger Schawinski
Donnerstag, 15. März 2012 um 13:35 Uhr
Kategorie: Allgemeines
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    thinkpunk
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    Mär 16th, 2012 um 08:29 Uhr | #1

    Ellenlange Texte für eine einfache Aussage sind auch so eine Sache. Es braucht keine 3000 / 3480 Zeichen, um einen anderen Journi des Erfindens von Zitaten zu verdächtigen.

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    David
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    Mär 16th, 2012 um 09:34 Uhr | #2

    Und wie ist das Experiment bei der Washington Post verlaufen? Gab es tolle Ergebnisse des Edelfeder-Datenjournalismus?

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    Zahnwart
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    Mär 16th, 2012 um 12:25 Uhr | #3

    Eine Edelfeder muss gut schreiben können, muss sehr gut schreiben können. Eine Edelfeder muss aber auch zwingend alle Qualitätskriterien für guten Journalismus erfüllen, also Integrität, wasserdichte Recherche, faires Benennen von Quellen. Wenn das zweite nicht gegeben ist, dann handelt es sich nicht um Journalismus, sondern um Literatur.

    Indem man behauptet, ach, Edelfedern, das sind eben die Herren (meist sind sie ja wirklich männlich), die hübsche Textwölchen produzieren, “Ornamente und Schwurbel”, dann diskreditiert man diese echten Edelfedern. Dann ist man ganz billig intellektuellenfeindlich, wie in der Stellenanzeige, die mir vor ein paar Jahren unterkam: Da wurde ein Redakteur gesucht , der explizit “keine Edelfeder” sein sollte. Und bei Intellektuellenfeindlichkeit, tut mir leid, da endet meine Toleranz ganz schnell.

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    Constantin Seibt
    Reply | Quote
    Mär 16th, 2012 um 14:37 Uhr | #4

    Mein lieber Roger,

    danke für deine freundlichen Vergleiche mit Herrn Kummer.

    Aber zunächst: Wenn du auf einem Podium gefragt wirst, ob du recherchierst, dann wäre es äusserst uncool, sofort zu sagen, dass du es tust. Besonders, da ich beim Schreiben ziemlich viel Arbeit dafür verwende, um den Fleiss zu verbergen.

    (Was ich, wenn ich mich richtig erinnere, dann sofort auch auf dem Podium gesagt habe, aus dem Grund, dass ich den Verdacht hatte, dass der erste Satz von eiligen Zuhörern geglaubt werden könnte.)

    Aber irgendeinen Grund muss es haben, dass mein Schreibtisch regelmässig unter Papier versinkt.

    Bei dem angesprochenen Artikel habe ich mehrere Stunden mit einem halben Dutzend Leuten in verschiedenen Banken gesprochen. Und die reden. Aus einem ganz einfachen Grund: Der Bankenplatz ist so uneinig, gespalten und unsicher wie nie zuvor. Und in der Krise reden alle und zwar offener und farbiger als zu Zeiten des Erfolgs. Einfach, weil sie sich selbst dafür interessieren, was ihre Position genau ist.

    Das taten sie aus nachvollziehbaren Gründen off the record. (Siehe die aktuelle Story über den Goldman-Banker, von dem es heisst, er wird nie wieder einen Job finden.)

    Als ich über den Text nachdachte, hatte ich zwei Optionen. A) Einen Aufsatz zu schreiben, glatt, ohne Zitate und den cleveren Analysten zu spielen. Oder B) die Zitate roh, widersprüchlich, lebendig wie sie waren, ungeordnet und namenlos in einen Topf zu werfen – also die Karten so weit aufdecken, wie es geht.

    Ich fand die Lösung B) eine clevere Form. Sie gefiel mir, weil sie den heftigen, verwirrten Puls der Krise hatten. Und dem Leser das Ehrlichste gaben, was ich zu geben hatte: nicht den irgendwelche gescheiten Schlussfolgerungen, sondern das Rohmaterial.

    Man muss aber sagen, es war eine falsche Entscheidung. Die Reaktion – sowohl bei meinen Gesprächspartnern, wie auch bei den Lesern, dem Netz wie auch in der Redaktion war: fast Null. Der einzige, der diese Artikelform von Zitatencollage innovativ, aufregend und klasse fand, war ich. Den Rest der Menschheit hat sie verwirrt.

    Tja – und falls dir die Bankenkommunikationsmenschen so verdächtig hintergründig, witzig und gescheit vorkamen – das ist eine Frage des Tons: Wenn du wirkliche Fragen hast (also Fragen, bei denen du selbst die Antwort nicht weisst) und die Leute ausreden lässt, dann antworten dir die Leute. Ein Gespräch ist ein Spiegel.

    Natürlich gibt es Journalisten, die schneller und härter fragen als ich. Die etwa in ihrer Talkshow den Maschinengewehr-Fragestil haben, der manchmal ein wenig an den Austern-Witz über die Deutschen erinnert: Wie essen die Deutschen Austern? Sie klopfen auf die Schale und brüllen: “Aufmachen!”

    Und in vielen Fällen ist der Überfall auch keine schlechte Methode. In anderen nicht. Es gibt sehr verschiedenes Besteck, um Austern zu öffnen. Ich bevorzuge Höflichkeit.

    Und der Rest ist eine handwerkliche Entscheidung. Stil hat den Vorteil, dass die Leute dich lesen. Aber den Nachteil, dass sie dir misstrauen. Weil Trockenheit und Nüchternheit als wahrer gilt.

    Ich persönlich denke zwar, dass, wer auffälliger schreibt, sich weit weniger bei Fehlern und Schwurbel verstecken kann, als wer Standard schreibt. Aber ich bin hier Partei.

    Wirklich auf die Mottenkiste gehört der Begriff “Edelfeder”. Zu diesem lässt sich nur Unfug schreiben. Es geht nur um eine einzige handwerkliche Entscheidung: Was ist klüger im Informationsbusiness: Schreiben oder nur Tippen? Für beides gibt es Argumente.

    Best

    Constantin

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    Reda El Arbi
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    Mär 19th, 2012 um 00:40 Uhr | #5

    …ich kann mich da an eine Geburtstagsparty erinnern, an der du, Consti, dich über die Kosten deiner SMD-Recherchen beschwert hast…

    In der SMD recherchiert man aber nicht, man schreibt ab, was andere bereits auch schon abgeschrieben haben. So stehen am Schluss Zwerge auf den Schultern von Zwergen.

    Aber das Schreibhandwerk beherrschst du einmalig…

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    Adi Züblin
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    Mär 19th, 2012 um 19:21 Uhr | #6

    Sehr geehrter Herr Schawinski, sehr geehrter Herr El Arbi, würde es Ihnen etwas ausmachen, Belege für die Abschreibvorwürfe beizubringen?
    Mit freundlichen Grüssen
    Adi Züblin

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    Andreas Müller
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    Mär 20th, 2012 um 19:00 Uhr | #7

    Ein ehemaliger Blick am Abend – Journi bezichtigt Seibt mit einem vagen Sprüchlein der Abschreibe. Wir wollens mit der Glaubwürdigkeit ja nicht gleich übertreiben.

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    Esther Banz
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    Mär 21st, 2012 um 01:11 Uhr | #8

    Herr Schawinski, pinkeln können Sie, chapeau. Man fragt sich einzig, als Frau: what the dick? Als einstige Büropartnerin Herrn Seibts erlaube ich mir diese Feststellung: selten jemanden kennengelernt, der so leidenschaftlich recherchiert. Tatsächlich, recherchiert. Und das Gegenüber sogar zu Wort kommen lässt. Reda: sehr klug, wie alles, was du schreibst. Wie wärs mit einem Satiremagazin? Fröhliche Grüsse in die Männerrunde, Esther Banz

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