Dr. Merkels vollstes Vertrauen

16/10/2012 · 49 comments

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Beipackzettel zum neuen Buch “Internet – Segen oder Fluch”

10/10/2012 · 28 comments

spacer Es gibt ein brandneues Buch von Kathrin Passig und mir: “Internet – Segen oder Fluch“. Das Buch ist eine Anleitung zum doppelten Verständnis: Verständnis des Internet – und Verständnis für die Diskussionsgegner.

Wir haben es geschrieben, weil wir bei der Debatte um das Netz mit fast jedem neuen Artikel, jeder Talkshow und jedem Shitstorm das Gefühl hatten, dass etwas schief läuft. Schlimmer noch: dass etwas schief läuft und wir irgendwie Teil davon sind.

Ich kann nicht genau sagen, wann bei mir ein gewisses Unwohlsein begonnen hat, vermutlich Ende 2009, Anfang 2010. Es gibt eine Metapher von Thomas Mann, das ungefähr so lautet: Wenn der Kahn sich zu weit nach links neigt, dann beugt sich der Schiffer zum Ausgleich weit nach rechts. Mit der Binnenschifffahrt mag sich Thomas Mann ausgekannt haben. Mit der Diskussion um das Internet vermutlich nicht.

Irgendwann habe ich mich dabei ertappt, wie ich – als Reaktion auf mir widersinnig erscheinende Argumente von Netzkritikern – meine Statements immer plakativer dargestellt habe, weniger differenziert. Um mehr Wirkung zu erzielen, den Kahn auszugleichen. Außerdem fühlt sich “Ich glaube eher nicht, aber” im Nahkampf viel schwächer an als “NJET, SCHTONK!”

Zwischentöne, Graustufen, Ambivalenzen, schon immer bei mir vorhanden (wie bei den meisten anderen), habe ich ausgeblendet. Ich habe mir die Welt absichtlich einfacher gemacht, als sie ist. Weil ich mich nach Klarheit gesehnt habe, weil ich davon profitiert habe, weil ich Recht haben wollte, weil ich es nicht besser wusste. Bei der Recherche hat sich herausgestellt, dass dieses Pippi-Langstrumpf-Prinzip – ich mache mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt – nicht nur mein Problem war (und ist). Es handelt sich vielmehr um den weitverbreitenden Standard in der Internet-Diskussion. Und zwar auf allen Seiten.

Auch wenn in diesem Artikel eingangs eine Art Bekenntnis meine persönliche Motivation verdeutlichen soll, “Internet – Segen oder Fluch” ist kein Buch der Reue, sondern ein Buch der Erkenntnis, dass Weiterentwicklung notwendig ist, persönlich, inhaltlich, gesellschaftlich. Es ist deshalb ein Plädoyer für das Erwachsenwerden im Umgang mit Netz, Technologie, Gesellschaft. In den 1980er Jahren wurde in Deutschland der Begriff “Technikfolgenabschätzung” hip. Eigentlich bräuchte man soetwas heute auch für das Internet, und das Buch soll den Weg dafür bereiten. Denn der kann nur über Diskussionen führen, je ergiebiger, desto besser.

Über das Internet wird sehr viel geredet und sehr wenig miteinander gesprochen. Die mit Sven Regeners Schimpfkanonade Anfang 2012 gezündete, aber schon länger schwelende Urheberrechtskonfrontation ist ein typisches Beispiel. Frontenbildung auf beiden Seiten, Simplifizierung um der vermeintlichen Wirkung willen, Abtun der Gefühle und Argumente der jeweils anderen Seite als egal oder zumindest weniger wichtig. Die Leute auf der anderen Seite müssen dumm oder moralisch verdorben oder beides sein, sonst wären sie ja meiner Meinung – diese Haltung findet sich viel zu oft auf beiden Seiten. Das ist das vergammelte Herz der derzeitigen Netzdebatte: kaum jemand akzeptiert andere Prioritäten als die eigenen.

Freiheit und Sicherheit zum Beispiel sind fast immer Gegenspieler, und es ist legitim, eher der einen oder der anderen Seite zuzuneigen, auch in der Geschmacksrichtung Internet in dieser uralten Diskussion. Weder die eine noch die andere Position ist falsch, sie sind bloß unterschiedlich. Und zwar so unterschiedlich, dass sie dem jeweils anderen als vollkommen verantwortungslos erscheinen. Es gibt dabei keine naturgegebene Normalposition, alles ist Verhandlung.

Die Debatte um das Netz, das mag sich für manche nach einem Randthema anhören, aber sie ist weitreichender als selbst viele Experten glauben. Das Internet beeinflusst inzwischen auch Leute entscheidend, die gar nicht drin sind. Mit der Piratenpartei hat die Diskussion im Internet und um das Internet sogar einen Drall in Richtung “Veränderung der Demokratie” bekommen. In Island entsteht gerade eine im Netz zusammendiskutierte Verfassung, größer geht es ja kaum noch. Wir haben das Buch geschrieben, damit wenigstens ein paar Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden können, bevor alle Beteiligten versterben.

Das Buch ist gut geeignet, wenn

  • man besser verstehen möchte, wie das Internet funktioniert und was es mit der Welt macht
  • man die Schnauze voll hat von ermüdenden Diskussionen über das Netz
  • man technische und gesellschaftliche Hintergründe erfahren möchte zu den meistdiskutierten Netzthemen
  • man wissen will, wo welche Argumente vermieden werden sollten und warum
  • man ernüchtert werden möchte, weil hinter manchen Bereichen der Debatte schlicht unauflösbare Gegensätze stehen (Spoiler: zum Glück nicht hinter allen)
  • man manchmal nachts unter der Bettdecke heimlich daran zweifelt, ob man wirklich überall immer richtig liegt
  • man andere Positionen und ihre Geschichte verstehen möchte
  • kurz: wenn man Teil der Lösung sein möchte und nicht Teil des Problems

Das Buch ist nicht gut geeignet, wenn

  • man von Frontenbildung und Status Quo stark profitiert
  • man sich aus persönlichen Gründen radikalisieren möchte
  • man eine Allergie gegen Irokesenschnitte hat
  • oder wenn man generell keine Argumente mag, die mehr als 140 Zeichen brauchen.
In den letzten Monaten habe ich an mir gespürt, wie schwer es ist, nicht in die vielen Fallen zu tappen, die wir im Buch beschreiben. Immer wieder bin ich in holzweghafte Gesprächssituationen geraten und konnte mir gut bekannte Fehler nicht gleich vermeiden. Das wird vermutlich noch eine Weile so bleiben – aber ich glaube, dass der ständige, durchaus anstrengende Versuch einer redlichen Diskussion sich lohnt. Für das Internet und erst recht für die Menschen, die es benutzen.

Das Buch erscheint bei Rowohlt Berlin und kostet 19,99€ (Hardcover) bzw. 12,99€ (Ebook). Wenn man das Papierbuch kauft, bekommt man automatisch das Ebook mit dazu – und das hat keinen klassischen Kopierschutz (sondern nur ein sog. Wasserzeichen), übrigens alles andere als eine Selbstverständlichkeit bei einem großen Publikumsverlag. Hier auf Amazon kaufen (kein Werbelink).

tl;dr – Manchmal würde tl;dr mehr schaden als nutzen. Hier zum Beispiel.

Aktuelle Anmerkung
Die Diskussion einigermaßen redlich zu führen und Verständnis für das Gegenüber zu entwickeln, bedeutet nicht, positionslos zu sein. Blogleser werden bemerkt haben, dass ich mich gegen das Leistungsschutzrecht engagiere. Die Lehren aus unserem Buch in diesem konkreten Fall bedeuten aber, dass man die Sorgen der Presseverlage ernst nimmt, sie basieren auf echten Problemen. Ich glaube nur, dass diese Probleme samt Abhängigkeit von Google mit dem Leistungsschutzrecht schlimmer werden – andere Lösungen müssen gefunden werden, und zwar zur Refinanzierung von professionellem Journalismus im Netz. Die Verlage als verdammenswerte, gar überflüssige Feinde zu sehen, ist deshalb totaler Quark. Und natürlich kann man gleichzeitig sehen, dass Google ein problematischer Konzern ist UND gegen das Leistungsschutzrecht sein.

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Warum man manchmal auch schlechtformulierte Petitionen mitzeichnen sollte

04/10/2012 · 48 comments

tl;dr
Die aktuelle Epetition gegen das Leistungsschutzrecht ist so lebendig und überzeugend formuliert wie die Steuererklärung von Thilo Sarrazin. Trotzdem ist es wichtig, bis zur Deadline am 10. Oktober mitzuzeichnen.

134.014 ist hauptberuflich keine Zahl. 134.014 ist ein Symbol, und zwar in meinen Augen das zweitwichtigste Symbol der deutschen Netzbürger. Das erstwichtigste Symbol besteht aus mehr als einhunderttausend Leuten, die Anfang 2012 allein in Deutschland gegen ACTA auf die Straße gegangen sind. Aber bis dahin war die 134.014 für Medien, Politik und Gesellschaft entscheidend: so oft wurde im Jahr 2009 die E-Petition gegen Netzsperren gezeichnet.

Warum sind diese Zahlen überhaupt relevant?

Politik ist zweigeteilt, sie besteht aus Worten und Wirkungen. Worte sind toll, aber haben eine geringe Halbwertszeit: ein lauter Protestschrei tut nur ein paar Minuten lang in den Ohren weh. Deshalb entscheidet in der Politik die Wirkung – und zwar die in der Öffentlichkeit. Dafür gibt es ein Zauberwort: es heißt Mobilisierung. Mobilisierung ist eine politische Messgröße dafür, bei welchen Themen nur viel geredet wird. Und wo Taten folgen.

Der ACTA-Protest war so erfolgreich, weil eine Mobilisierung enormen Ausmaßes stattfand, es verwandelten sich vielen Worte im Internet in bundesweite Demonstrationen in touchscreenfeindlichem Frost. Die 134.014 war 2009 der ausschlaggebende Grund, weshalb der deutsche Netzaktivismus erstmals ernstgenommen wurde. Die Petition war die Schnittstelle, wo sich das Wortgetöse auf Twitter in messbare Wirkung verwandelte. Ein solches Mobilisierungsymbol ist notwendig. Denn die sozialen Medien sind ein Dampfplauderbad: wer drin ist, spürt die Hitze. Wer nicht drin ist, spürt auch keine Wirkung. Und eine noch so eindrückliche Beschreibung von 90° Celsius ist viel entspannter auszuhalten als 90° Celsius. Eine Epetition auf den Servern des Bundestags aber macht die Empörung messbar und verleiht ihr eine politische Wirkung.

Was uns zur aktuellen Epetition gegen das Leistungsschutzrecht bringt. Bruno Kramm von der Piratenpartei hat sie geschrieben eingereicht. Leider ist sie formuliert, als wolle er beweisen, dass er mit den großen Juristenkindern mitspielen kann. Das war kontraproduktiv, entsprechend haben bis jetzt kaum 10.000 Leute mitgezeichnet. Dabei geht es – Mobilisierung! – um die Breitenwirkung, um die Überzeugung derjenigen, die gegen das Leistungsschutzrecht sind, aber noch nicht wissen, dass sie gegen das Leistungsschutzrecht sind.

Zur Erinnerung: das Leistungsschutzrecht soll Verlagen ermöglichen, für den Gebrauch von kleinsten Textschnipseln Geld zu verlagen. Zum Beispiel von Weltkonzernen wie Google, Rivva oder dem Perlentaucher. Das Gesetz wird von einigen Verlagen vehement gefordert, und zwar aus Verzweiflung, weil mit journalistischen Inhalten im Netz nur schwer Geld zu verdienen ist. Die schwarz-gelbe Bundesregierung lässt sich von diesen Verlagen – allen voran dem Axel-Springer-Verlag – zur Einführung eines Leistungsschutzrecht drängen: es steht unmittelbar bevor. Allerdings wird es nicht die Wirkung haben, die Verlage sich erhoffen, nämlich Geld von Google. Stattdessen gibt es jede Menge schädlicher Nebenwirkungen – und die betreffen fast alle.

• Das Leistungsschutzrecht erhöht für Internet-Nutzer die Chance, abgemahnt zu werden. Es schafft nämlich Unklarheit, was für wen unter welchen Umständen lizenzfrei erlaubt ist und was nicht – eine Unklarheit, die langwierig und damit teuer gerichtlich zu klären sein würde.

• Wegen des Leistungsschutzrechts könnte Google aufhören, alle Seiten von Verlagen zu durchsuchen. Wie sollen Nutzer Presseartikel etwa zum Thema Finanzkrise finden – wenn nicht über Google? Es droht die völlige Unauffindbarkeit des deutschen, professionellen Journalismus im Netz.

• Wegen des Leistungsschutzrechts dürfte Google aber auch sämtliche Seiten auslisten, die auch nur im Zweifel lizenzpflichtig sein könnten. Und das kann sehr viele treffen – zur Erinnerung: in Deutschland kann ein Blog bereits als kommerzielle Publikation gelten, wenn es Affiliate-Links von Amazon einbindet.

• Im einem Entwurf des Leistungsschutzrechts ist von “Aggregatoren” die Rede. Es ist juristisch völlig unklar, ob davon auch Facebook und Twitter betroffen sind, die teilweise aggregatorisch funktionieren. Das könnte bedeuten, dass alle Seiten, die irgendwie verlagig riechen, auch dort ausgelistet werden. Mark Zuckerberg wird niemals dafür bezahlen, wenn ein Facebook-Nutzer eine Seite verlinkt und deshalb ein Textschnipsel auf Facebook erscheint.

• Wenn das Leistungsschutzrecht kommt, könnte es – je nach Googles Entscheidung – den Suchkonzern sogar stärken. Denn nur Google könnte sich Lizenzgebühren überhaupt leisten, der monopolhafte Such-Marktanteil von 96% wäre auf ewig zementiert. Und das, wo es mit dem Übernetzkonzern Google eine Vielzahl von drängenden Problemen gibt – auch solche, die politisch dringend geklärt werden müssten: Transparenz, Marktbeherrschung, Abhängigkeit ganzer Branchen von einer handvoll Google-Ingenieure, Privatsphären-Probleme und vieles mehr.

• Es ist völlig ungeklärt, welche Rolle die Brüder von Klaeden beim Leistungsschutzrecht gespielt haben: Eckart von Klaeden ist im Kanzleramt angesiedelt, dort wurde dieses Thema maßgeblich vorangetrieben. Sein Bruder Dietrich von Klaeden ist beim Axel-Springer-Verlag dafür abgestellt, das Leistungsschutzrecht herbeizulobbyieren. Ist da ein anwidernder Fall von brüderlicher Politmauschelei im Gang?

• “Vor einem Wahljahr legt sich niemand mit der Springer-Presse an”, dieser Satz eines hochrangigen Politikers ist in meinem Beisein wörtlich gefallen – und gedacht wird er überall. Zu plastisch ist der genüssliche Wulff-Abschuss der “BILD-Zeitung” in Erinnerung. Wo fängt Erpressung an? Ab welchem Punkt kuschen demokratisch gewählte Volksvertreter vor einer Boulevard-Macht, weil sie Angst vor wahlentscheidender Vergeltung haben? Und wie erbärmlich rechtsstaatsunwürdig wäre das bitte? Steckt denn in den bürgerlichen Parteien kein Funken Law-and-Order-Bewusstsein mehr?

Deshalb: Zeichnet die Petition mit, auch wenn sie getextet ist wie von marsianischen Katasteramtsleuten. Zeichnet sie mit, damit ein Symbol entsteht, damit die wütenden Worte sich in wuchtige Wirkung verwandeln. Ja, auch ihr seid davon betroffen, wenn Euch ein wesentlicher Teil der Informationswirkung des Netzes amputiert wird – weil ihr zum Bürgerkrieg in Syrien keine professionellen Artikel mehr finden könnt auf Google. Sondern nur noch wirre Verschwörungstheorien in seltsamen Foren. Zeichnet die Petition mit, um die Regierung davor zu bewahren, sich dem Druck der Springer-Presse zu beugen. Zeichnet sie mit – nicht, weil Google betroffen ist, sondern obwohl Google betroffen ist. Zeichnet sie zähneknirschend mit, obwohl sie aus einem misslungenen piratigen Alleingang entsprungen ist – aber zeichnet sie mit. Wir brauchen das Symbol. Und mit “wir” ist hier nicht die Netzgemeinde gemeint – sondern alle, die das Netz nutzen.

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Fünf entscheidende Fragen zum Leistungsschutzrecht

31/08/2012 · 91 comments

Man muss sehr lange suchen, um Gemeinsamkeiten zu finden zwischen dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Linkspartei. Intensive Recherche aber hat zu einer Liste aus drei Punkten geführt:

• Luft atmen
• Wasser trinken (manchmal)
• Ablehnung des Leistungsschutzrechts

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, wenn sich so völlig unterschiedliche Teile der Gesellschaft gegen ein Gesetz stellen. Vor allem, weil BDI und Linkspartei ja nicht die einzigen sind. Der Bitkom, die Grünen, die Junge Union, die SPD, ungefähr alle Internetverbände, die “Netzgemeinde” in Komplettbesetzung, Netzpolitiker in der CSU, der Verband der Automobilindustrie, der DJV Berlin-Brandenburg, die Freischreiber, noch zwei Dutzend andere Verbände sowie naheliegenderweise die in Deutschland tätige Internet-Wirtschaft in toto. Schon rein statistisch erhöht sich dann die Chance, dass das Gesetz falsch ist.

Der Hintergrund für Leute, die soeben aus einem dreijährigen Koma erwacht sind oder sich für politische Scherze der schildbürgerlichen Parteien erst interessieren, wenn es ernst wird (was es gerade wird): das Leistungsschutzrecht ist eine Subvention für Verlage, die so tut, als sei sie keine Subvention für Verlage. Meiner Meinung nach könnte oder müsste man übrigens nachdenken über eine staatliche oder anders organisierte Förderung von professionellem Journalismus. Aber wer wie ärgerlich viele private Medienunternehmen seit Jahren sowohl die Konstruktion der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten nur durch eine stuhlfarbene Brille betrachtet und sich lange als Prediger einer reinen Marktlehre aufgespielt hat, der ist natürlich in einer so mittelsuperen Position zuzugeben, dass Journalismus sich im Netz ohne Hilfe (derzeit) nur schwer refinanzieren lässt. Das ist noch nicht einmal ausschließlich die Schuld der Verlage. Denn das Konzept “Schuld” eignet sich nicht, um herauszufinden, warum Journalismus im Netz zwar gut funktioniert, aber schlecht zu bezahlen ist. Lösungen für dieses echte und komplexe Problem müssten dringend diskutiert werden, denn eine Welt ohne professionellen, organisierten Journalismus wäre eine schlechtere. Aber die Diskussion wird kaum öffentlich geführt, offenbar weil allzuviele Verleger zu glauben scheinen, dass mit dem Leistungsschutzrecht endlich alles gut würde. Es wird aber nicht gut. Weil nicht Digitalkonzerne wie Google oder sonst ein einzelnes Unternehmen hinter dem Problem stehen. Stattdessen handelt es sich um die Folgen der digitalen, vernetzten Technologie und ihrer massenhaften Benutzung.

Und trotzdem wird ein so kauderhaftes, kringsiges Gesetz eingeführt, obwohl eine so breite, gesellschaftliche Front dagegen opponiert. Obwohl ganz offensichtlich vorher eine öffentliche Diskussion notwendig wäre. Das ist mehr als nur merkwürdig, das ist schon verräterisch. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, Fragen zu stellen. Und zwar solche, die aus meiner Sicht die entscheidenden sind – auf die Tatsache bezogen, dass das Gesetz auf dem besten, bzw. schlechtesten Weg ist, zustande zu kommen.

1. Welche Rolle haben die Brüder von Klaeden bei der Entwicklung des Leistungsschutzrechts gespielt?
Es sind ja nicht alle Unionsabgeordneten ahnungslos, was das Netz angeht. Wenn man in den vergangenen anderthalb Jahren gefragt hat, wieso das diffuse, sinnlose Leistungsschutzrecht denn kommen solle – dann folgte in der Regel eine Sekunde des Schweigens. Und dann ein vielsagender Kommentar: das kommt von oben. Von ganz oben. Direkt aus dem Kanzleramt nämlich. Und damit eröffnet sich eine wichtige Frage. Dort, im Kanzleramt, ist der Staatsminister bei der Bundeskanzlerin mit beratender und unterstützender Funktion: Eckart von Klaeden. Der völlig zufällig der Bruder ist von Dietrich von Klaeden, der beim Axel-Springer-Verlag die Leitung der Regierungsbeziehungen für Deutschland innehat und öffentlich vehement das Leistungsschutzrecht vorantreibt. Brüder. Und der eine Bruder hätte schon durch die enge Beziehung zur Fraktion die Macht, ein Gesetz voranzutreiben, dessen Verwirklichung die berufliche Aufgabe des anderen Bruders wäre. Das war nicht gemeint mit der Brüderlichkeit “mit Herz und Hand”, die in der Nationalhymne besungen wird. Es wäre natürlich Unsinn, hier von Vetternwirtschaft zu sprechen, die beiden sind ja viel näher verwandt als Vettern. Man muss also fragen: War Eckart von Klaeden bei der Erstellung des Leistungsschutzgesetzes beteiligt? Wenn ja, wie? Und vor allem – warum? Und welche Qualität hatte (und hat) der Informationsaustausch zwischen den beiden Brüdern? Diese Frage stellt sich sogar noch vor der Frage, welche die bekannte, besondere Verbundenheit zwischen Friede Springer und Angela Merkel betrifft. Es ist ausgesprochen schade, geradezu bizarr, dass viele derjenigen Institutionen, die investigative Recherche zu ihren Stärken zählen, an diesem Punkt ein Eigeninteresse haben, nicht tätig zu werden.

2. Warum lassen sich die Verlage von Axel Springer so sehr in Gefahr bringen?
Axel Springer hat sich in der Öffentlichkeit (mit gelegentlichen Einwürfen burdaerseits) zum Sprachrohr einer ganzen Branche gemacht. Das geht nur, wenn die Branche das irgendwie akzeptiert, ob zähneknirschend oder nicht. Dabei scheinen zumindest einzelne Vertreter des Axel Springer Verlags mit Halbwahrheiten und Schlimmerem zu arbeiten: als Stefan Niggemeier Konzerngeschäftsführer Keese “Lügen fürs Leistungsschutzrecht” vorwarf, “konterte” der mit der labberigstmöglichen Gegenargumentation mit der argumentatorischen Härte einer aufgewärmten Götterspeise. Axel Springers quasireligiöser Kampf für das verquere Gesetz – man bekommt ja fast den Eindruck, als sei das Leistungsschutzrecht für Springer die neue Wiedervereinigung – ist für viele andere Verlage vor allem aus wirtschaftlichen Gründen schädlich. Es ist sehr, sehr stark umstritten, dass das Leistungsschutzrecht am Ende tatsächlich Geld bringt. Es gibt wesentlich mehr Anzeichen, dass die Einführung den Verlagsangeboten dramatisch schadet. Der oft zitierte Fall der Copiepresse in Belgien ist nur ein Aspekt – Google listet Verlagsangebote wegen juristischer Unklarheit aus, der Traffic bricht ein und damit auch die Werbeumsätze, Millionen Euro Googleoptimierung waren für die Tonne. Ein anderer, ebenso wichtiger Apsekt ist: Ist es nicht unglaublich leichtsinnig, wenn die nächsten drei Jahre damit verplempert werden, die Zukunftshoffnung verbissen auf ein Leistungsschutzrecht zu konzentieren, das beinahe völlig sicher nicht funktionieren wird? Sollen dann nochmal drei Jahre Geschwisterlobbyismus investiert werden, um Google zu zwingen, die Verlagsangebote zu listen UND zu bezahlen?

3. Wie sollen überhaupt noch die echten Probleme mit Google angegangen werden?
Ein ebenfalls selten beleuchteter Aspekt: der digitale Weltkonzern Google ist in vielen, vielen Punkten ausgesprochen kritikwürdig. Allein schon 96% Marktanteil am Suchmarkt in Deutschland – eine solche unfassbare, gesellschaftsprägende Monopolstellung wäre selbst dann fatal, wenn Google ein nonkommerzielle Kuschelgruppierung mit Blumen im Haar wäre. Und dann die realitätsferne Argumentation (von Googleanwälten in den USA), dass die Reihenfolge der Suchergebnisse Meinungsfreiheit seien. Das Echo dieser Haltung findet sich in der offensichtlichen Nutzung der Suche zur Vermarktung eigener Produkte wie Google Plus, dessen versprochene pseudonyme Nutzung übrigens noch immer nicht angemessen angeboten wird. Es gibt also viele Bereiche, in denen Google angegangen werden sollte, nein: muss, und wo Kritik und im Zweifel auch gesetzliche Aktion gefragt ist. Und dann investieren Verlage unglaublich viel Energie, politischen Druck in einem Bereich, der Google am Ende stärker, alternativloser machen wird. Denn genau das wird passieren: würde dieses Gesetz eingeführt, wäre nach wenigen Monaten überdeutlich, wer hier am längsten Hebel der digitalen Welt sitzt. (Mittel- und langfristig führt aus diesem und mehreren anderen Debakeln übrigens nur der Weg, dass digitale Quasimonopole wie Google, Facebook, in manchen Bereichen Apple, durch anständig funktionierende Marktalternativen ergänzt werden.)

4. Welche Rolle spielt der Fall Christian Wulff?
Hä? Wulff? Ja. Wulff hat zweifellos unglaublich viel falsch gemacht. Ob er sich auch strafbar gemacht hat, wird von der Staatsanwaltschaft geklärt oder auch nicht – aber glaubt irgendjemand ernsthaft, dass die Verfehlungen von Christian Wulff ohne Beispiel sind in der Politik? Dass alle anderen kein auch nur graues Stäubchen auf ihren chlorbleicheweißen Westen haben? Natürlich nicht. Politik ist voller Graubereiche, vielleicht lässt sich das kaum vermeiden. Die BILD-Zeitung hat gezeigt, dass sie selbst einen Bundespräsidenten aus dem Amt kegeln kann – und jetzt ist die Furcht groß, sehr groß, bei all denen, die Angriffspunkte bieten. Dafür muss ein Politiker sich nicht einmal so grobe Verfehlungen leisten wie Wulff, ein Blick auf das BILDblog ist genug, um festzustellen, dass an Springers Boulevard-Front Willkür Trumpf ist. Selbst ohne ein konkretes, drohendes Wort reicht das aus, um eine sehr unangenehme Form von politischem Druck zu erzeugen: Angst.

5. Ist die Bundesregierung erpressbar?
Das ist die schlimmste Frage, aber sie muss gestellt werden. Lobbyismus ist eine wichtige Art von Beteiligung an der Demokratie, was die diffuse, aber schlagkräftige Netzgemeinde tut, ist zum Beispiel auch Lobbyismus. Aber obwohl die Grenze zwischen legitimem politischem Druck und Erpressung fließend ist, wäre die Überschreitung fatal. Bundestagswahlen stehen an, was die politische Abhängigkeit von der Berichterstattung von Verlagen noch stärker erhöht. Nutzt hier die Vierte Gewalt in Form des Axel-Springer-Verlags ihr Drohpotenzial, ihre Kontakte und die frisch erlegte Trophäe eines Bundespräsidentenkopfes, um ein unsinniges, sogar für die Verlage selbst gefährliches Gesetz herbeizupressen?

Und wenn das so wäre: Wo sind die Koalitionspolitiker, wo sind die Verleger, die dagegen aufbegehren? Ist da nur Kadavergehorsam, weil das Kanzleramt es so will, aus Angst? Ist da nur Branchenzusammenhalt, weil der selbsternannte, aber schmuddelige Klassensprecher so fest an seine eigene Rettungsidee glaubt, dass sie ja wohl funktionieren MUSS?

Hier ist die schlechteste aller Nachrichten für diese Leute: Euer Kampf ist umsonst, und dabei noch nicht mal kostenlos. Das Leistungsschutzrecht löst nicht die Probleme der Verlage. Das Leistungsschutzrecht ist eine teure Baugenehmigung für ein Mondgrundstück.

Interessante Nebenbemerkung:
Vor einigen Jahren habe ich für ARTE einen einstündigen Dokumentarfilm über Lobbyismus gedreht, Michael Moore für Arme. Dabei habe ich ein gutes Dutzend Lobbyisten interviewen können, die tatsächlich einige spannende Tricks verraten haben (leider nicht alles in den Film gekommen, aber das ist eine andere Geschichte). Einer dieser hervorragend vernetzten Berufslobbyisten erzählte davon, wie man politische Anzeichen lesen könne. Es ist nämlich auffällig, dass in jedem Entwurf des Leistungsschutzrechts bisher grobe Fehler oder Unklarheiten enthalten waren: der erste Entwurf war zu global, der zweite nur auf Google bezogen und nicht auf Aggregatoren, der jetztige enthält eine Formulierung, die bewirken könnte, dass Google gar nicht betroffen ist. Laut des besagten Lobbyisten kann das ein Zeichen dafür sein, dass Kräfte in den Ministerien oder den gesetzesverfassenden Referaten das Gesetz torpedieren oder verhindern wollen – aber das nicht offiziell tun können. Liegt ja auch nahe: wenn man den Druck bekommt, ein Gesetz zu schreiben, das man selbst eigentlich verhindern möchte, dann dürfte das nicht unbedingt die Qualität erhöhen.

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Jeder Urheberrechtsaufruf jemals (pro & contra)

24/05/2012 · 54 comments

Das Internet! Ha!
Und deshalb muss das Urheberrecht dringend modernisiert werden, und zwar in unserem Sinne.

Denn unser Standpunkt zum Urheberrecht ist der einzig richtige. Übrigens sind wir nicht die einzigen, die das so sehen. Wir haben irgendeine passende Studie herausgesucht, die ein bisschen zurechtinterpretiert zweifelsfrei beweist, dass wir richtig liegen und alle anderen daher logischerweise falsch. Es ist recht weit außerhalb unserer Vorstellungskraft, dass man anderer Meinung sein könnte, ohne bösartig, dumm und falsch informiert zu sein.

Was die Diskussion jetzt braucht, ist Vernunft, und le Vernunft, c’est nous.

Das eigentliche Problem ist ja nun so klar, dass man es nicht mehr erklären muss:
Wir sind unzufrieden mit der Gesamtsituation. Und deshalb brauchen wir konkrete Schuldige, alles andere würde nämlich nicht in unser Konzept passen. Nebenbei bemerkt konnten wir uns keinem der bisherigen fünfhundert Aufrufe anschliessen, weil keiner das für uns elementarste Kriterium erfüllte: von uns zu stammen.

Unser höchst ehrenwertes Ziel ist, die Gesellschaft zu verbessern, und wenn wir sagen: die Gesellschaft, dann meinen wir zuallererst uns. Deshalb muss sich etwas verändern. Aber Weltverbesserung ist nicht Rom, deshalb führen nicht alle Wege dorthin, sondern nur ein einziger, nämlich unserer. Das ist kein Zufall: natürlich sind unsere Absichten die allerbesten, sonst hätten wir uns doch andere gesucht! Ausrufezeichen!

Schon klar, dass alle Beteiligten irgendwelche Bedürfnisse haben, aber unsere sind halt die entscheidenden. Das sagt übrigens auch – mit der Kraft der Wissenschaft untermauert; Sie ahnen es längst – die eingangs erwähnte Studie.

Aber nicht nur die Wissenschaft (die uns außerhalb der Studie völlig schnurz ist) gibt uns Recht, auch die Geschichte (die wir nicht kennen) lässt keinen anderen Schluss zu. Wir haben deshalb ein paar historische Situationen willkürlich herausgesucht, die zwar exakt nichts beweisen, aber sich nach Substanz anhören. Und die Presse steht drauf, was übrigens daran liegt, dass sich kaum jemand so rich

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