Spektakulärer kopulativer Tanz heute
By Wayne Marshall on Januar 14, 2012
By Wayne Marshall on 14 Januar 2012 in STORIES«Wir machen Liebe und behalten die Kleider an / Fühle die Leidenschaft des Reggae»
«Wir machen Liebe und behalten die Kleider an / Fühle die Leidenschaft des Reggae», singt Reggaetonero Speedy aus Puerto Rico, unverfroren die Sinnlichkeit der Reggae Musik mit einer Wendung verbindend, welche oft dazu dient, die provozierenden Körperbewegungen im Herzen von Reggaeton zu umschreiben. Eher als ein Tanz, haben Kritiker gemeint, ist der Perreo kaum mehr als Heavy Petting in der Öffentlichkeit – eine verdorbene Version der Umwerbung und eine beschämende Tätigkeit für unschuldige Jugendliche. Speedys Refrain übernimmt diese Definition ohne Umschweife: Liebe machen mit den Kleidern am Leib tönt für ihn und sein Publikum ganz in Ordnung.
Im Dokumentarfilm «Straight outta Puerto Rico» räumt der Produzent Jorge Oquendo peinlich berührt ein, dass der Perreo den Geschlechtsverkehr zwischen Hunden simuliert. Tatsächlich, trotz dem offensichtlichen Verweis auf die Kopulation von Hunden im Namen des Tanzes, ist das auch eine Art des Umgangs von Menschen. Begriffe wie «Perreo» oder «Doggystyle» zeugen einfach von unserer nach wie vor missionarischen Stellung in Bezug auf das Thema.
Sexuelles Gebärdenspiel zieht sich tief durch die Geschichte des Tanzes, und parallel dazu die moralische Panik. In der neuen Welt und dem trans-kolonialen Europa haben die Rhythmen der afrikanischen Diaspora wie der «Dembow» des Reggaeton, für manche ein Synonym für Perreo, die Sorte intimen Tanzes hervorgebracht, welche die gewöhnlich unter der Fahne der Autorität christlicher Moral und zivilisatorischer Bestrebungen des Staates hochgehaltenen Grenzen zwischen Rassen, sozialen Klassen und Altersgruppen aufzulösen drohten.
Neben anderen Vorläufern des Perreo sei nur die Haltung Europas gegenüber der «Zarabanda» erwähnt, einer hochenergetischen Form des Tanzes welche zum ersten Mal 1539 in Panama registriert wurde. In seinem Buch über die Musik Kubas beschreibt Ned Sublette die «Zarabanda» als «sexuelle Aktivitäten simulierenden Tanz», welcher die Tanzflächen Spaniens während dreissig Jahren um die Wende des 17. Jahrhunderts beherrschte trotz der Bemühungen der Kirche, ihn unter Androhung des Auspeitschens für Männer und der Verbannung für Frauen zu unterdrücken.
Bis zum heutigen Tag spielen sich Konflikte um vermeintlich «anrüchige» Arten des Tanzes im nahezu selben Rahmen ab. Seit einigen Jahren, speziell seit dem Aufkommen von Telefon-Kameras und YouTube, haben sich bemerkenswert vertraute Debatten um öffentlich zur Schau gestellte Freuden und Spiele entwickelt. Nehmen wir zum Beispiel «Daggering», eine spektakuläre, in der Tat regelrecht karikiete Inkarnation des zeitlosen Tanzes.
Deren letzte «Slack» Variante, aus der Dancehall Reggae Tradition Jamaikas entstanden, die lange dem Ausdruck von Obszönität und Körperlichkeit diente, bezeichnet «Daggering» gewalttätige, um-sich-stossende Bewegungen, die eher auf ein Abstechen als auf Sex hindeuten. 2009 kündigte der Rundfunk-Rat Jamaikas das Verbot sämtlicher Songs an, die auf den Auswuchs hindeuten.
Der Perreo seinerseits wurde 2002 vom Senat Puerto Ricos beinahe verboten, als die von religiösen Organisationen angestachelte Senatorin Velda Gonzalez die Inhalte von Reggaeton-Lyrics und -Videos zensieren wollte, allem voran jegliche Art von Tanz, die auf die Erregung von sexueller Lust abzielt. Auch wenn solche Bemühungen scheiterten – und Reggaeton kommerziell erblüht – hat die Verbreitung von Perreo in anderen Ländern die selben Ängste hervorgerufen, bis hin zu deren Beurteilung in den Fernseh-Nachrichten.
Genährt von Sensationspresse und einer Flut von Videos machte der «Perreo Chacalonero» aus Peru Gebrauch von der lokalen «Chicha» Tradition, um Szenen sexueller Pantomime zu verbreiten, welche selbst in Jamaika verschämte Reaktionen hervorzurufen vermochten, vor allem auch, weil Perus Teenager dazu neigten, eine weit grössere Palette von Andeutungen als die klassische «Back-to-Front»-Pose anzuwenden. Auf YouTube brach der Tanz lange schwelende, rassistisch unterlegte, nationalistische Animositäten zwischen Peru, Chile und Argentinien neu auf.
video.google.com/videoplay?docid=-4147175760277373095
Ähnlich die kürzlich in Kolumbien aufgeflammte Erscheinung des «Choque», eines zwischen den Stössen des «Daggering» und dem sanfteren «Perreo» anzusiedelnden, akrobatisch auf den Beat zugeschnittenen Tanzes, der für Aufregung in den Spätnachrichten sorgte, weil er verstörte Kommentare von internationalen YouTube-NutzerInnen hervorrief, welchen der lokale Rahmen zur Interpretation von alltäglichen Szenen gleichgeschlechtlichen Aufeinanderprallens mangelt.
Hier, in den sittsamen aber dauer-sexualisierten Staaten, erstaunt es kaum, dass «Grinding» oder «Freak Dancing» – ein Nordamerikanisches Analog zu den kopulativen Verrenkungen der Karibik – von den High Schools des Landes verbannt wurde. Trotz solcher «Erfolge», diese Arten des Tanzes zum Verschwinden zu bringen käme wohl der Aufgabe gleich, die Welt von geilen jungen Menschen zu befreien. Wahrlich ein Don Quixote würdiges Unterfangen.
Posted in STORIES | Tagged 3. Norient Musikfilm Festival 2012, Argentina, Censorship, Chile, Colombia, Cuba, daggering, dance, Dancehall, Dem Bow, Disco, Documentary Film, doggystyle, Gay Culture, Jamaica, Jorge Oquendo, kumina, Lara Putnam, Latinamerica, New York, Perreo, perreo chacalonero, Peru, petting, Politics, Puerto Rico, reggaeton, same-sex bumping, Sex, Sexism, Straight Outta Puerto Rico, the bump, zarabanda | 8 Responses
Author:
Wayne Marshall
Wayne Marshall is a technomusicologist who writes and teaches about music, technology, and culture from Cambridge, MA. Hip-hop scholar since being knee-high to a duck, he wrote his dissertation on reggae, edited the book on reggaeton, and publishes an acclaimed blog at wayneandwax.com.
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8 responses to “Spektakulärer kopulativer Tanz heute”
[...] me to point you over to Norient.com, where I’ve just contributed an article that attempts a brief history of perreo and other [...]
Thank you Mr. Marshall for bringing the academic perspective to the long dismissed perspectives on culture and music in the caribbean and latin america.!
beinglatino.wordpress.com/2012/02/09/does-dancing-el-perreo-demean-latinas/
[...] Perreo is one of many copulative dances which, as the name suggests, simulate sexual activity. Perreo (from the word Perro -dog in Spanish) [...]
[...] werden. Wayne Marshall hat für Norient über die Kopulations-Tänze geschrieben – siehe hier. Und die Münchner Schlachthofbronx sind schon länger am Bounce-Rap interessiert. Das spürt man [...]
[...] Spectacular Copulative Dance Today by Wayne Marshall [...]
[...] 200 | Wayne Marshall: Spectacular Copulative Dance Today – Stories Rather than dance, critics have alleged, «daggering», «perreo» are little more [...]
[…] – Theresa Beyer: Bootydance mit der Königin – Wayne Marshall: Spectacular Copulative Dance Today – Theresa Beyer: Queer Hip Hop Clips from 8 Countries […]