scharia

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Der Weg zur nie versiegenden Wasserstelle

Entsprechend der wirklichen Natur der Dinge muss man das Menschliche mit dem Göttlichen in Übereinstimmung bringen und nicht das Göttliche mit dem Menschlichen.
Seyyed Hossein Nasr ► Reliance of the Traveller

1. Definition

Wie nachfolgende Definition ausführt, regelt die islamische Rechtsordnung alle Belange des Menschen und zwar sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich. Das umfasst sowohl Bestimmungen zur Körperpflege, den familiären Verhaltenskodex, die peinliche Reglementierung aller religiösen Aufgaben als auch Bestimmungen zu Handels- Familien- und Strafrecht. “Das islamische Recht (scharia) ist ein integraler Bestandteil des Islam und ein konstituierendes Element der umma. Es enthält die von Allah gesetzte Schöpfungsordnung, die endgültig durch Mohammed, den letzten Propheten als eine Anrede (hitab) an die Rechts- und Pflichtunterworfenen (mukallafun) offenbart wurde und bis zum Jüngsten Gericht, prinzipiell für die ganze Welt, gültig ist.

Es regelt das bewusste Verhalten des zurechnungsfähigen Menschen als eines “Gehilfen” Allahs, und zwar in seinen praktischen Beziehungen zum Schöpfer, zu den Mitgeschöpfen und überhaupt zu allen Kreaturen, die Allah für die Menschen geschaffen hat:

Sure 2, Vers 29: Er ist’s, der für euch alles auf Erden erschuf; alsdann stieg Er zum Himmel empor und bildete ihn zu sieben Himmeln; und Er hat Macht über alle Dinge.

Es gibt keine Trennung dieser Beziehungen in einen religiösen/sakralen und einen profanen/säkularen Bereich. Schöpfungsordnung bedeutet Gottesdienst:

Sure 51, Vers 56: Und die Dschinn und die Menschen habe Ich nur dazu erschaffen, daß sie mir dienen.

Da Allah vollkommen ist, nützt ihm weder Gehorsam, noch schadet ihm Ungehorsam. Der Dienst ist eine Prüfung im Interesse der Menschen und wird mit Lohn und Strafe entgolten, teils im Diesseits, teils im Jenseits.” (Lexikon der islamischen Welt, 3. Band, Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 1974, Seite 56 f)

► scharia in Osterreich
► Was versteht man unter der Scharia?

2. Herleitung

Zur Herleitung des Begriffes “scharia” schreibt T. Nagel: “Die Vorstellung, der gesamte Lebensvollzug des Menschen sei nach den Vorschriften der Scharia zu regeln, ist dem Islam nicht von Anfang an eigen. Im Koran kommt der Begriff “Scharia” im Sinne von “Gesetz” überhaupt noch nicht vor. Nur an einer Stelle taucht das Wort auf:

Sure 45, Vers 18: … haben Wir dich … auf einen Weg (shari’a) (zur Errettung) festgelegt.

wird dem Propheten versichert. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, nämlich die nie versiegende Wasserstelle im ausgedörrten Land bzw. der Weg, der zu ihr hinführt, ist hier noch zu erkennen. Das Heil, zu dessen Erwerb Gott die Gelegenheit bietet, gleicht einer Tränke in der Wüste.” (T. Nagel, Das islamische Recht, WVA-Verlag Skulima, Westhofen, 2001, Seite 4)

Bei der scharia handelt es sich also nicht um einen Gesetzeskodex, welcher von Allah als solcher in vollständigem Umfang offenbart wurde. Vielmehr ist das islamische Rechtssystem lange nach dem Tode Mohammeds aus verschiedenen Quellen zusammengestellt worden: “Der endgültige Abschluss der Offenbarung mit dem Tode des Propheten 632, die sprunghafte Erweiterung des islamischen Territoriums, die Massenübertritte zum Islam besonders von Angehörigen hoch entwickelter Zivilisationen stellten die muslimische Führung, die sich zu einer Staatsregierung erst entwickeln musste, vor die Aufgabe, die individuellen und die gesellschaftlichen Probleme einer vielschichtigen Bevölkerung mit einem lückenhaften Repertoire von offenbarten und überkommenen Verordnungen, deren Geltungsbereich noch gar nicht feststand, zu lösen, Weisungen, die so be- und angereichert werden mussten, daß die Verwaltung des Riesenreiches funktionierte und daß die islamische Eigenart des Gemeinwesens nicht unterging. Man füllte die Lücken nach eigenem Ermessen und durch Vergleich mit von früheren Autoritäten gelösten Fällen.” (Lexikon der islamischen Welt, 3. Band, Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 1974, Seite 62 f)

Zu dieser späteren, von Menschen unternommenen Herausbildung des islamischen Gesetzes aus den vorhandenen unvollständigen dogmatischen Unterlagen schreibt T. Nagel weiter: “In der Zeit vom 8. bis 10. Jahrhundert nimmt das Wort Scharia die Bedeutung “von Gott gesetztes Recht” an … Der von Gott den Menschen eröffnete Weg zur nie versiegenden Wasserstelle des Heils wird von da an als die Einhaltung der kultischen Pflichten und die Beachtung von Bestimmungen für den profanen Alltag verstanden, die als der gesetzgebende Wille des Schöpfers gedeutet werden … “ (T. Nagel, ebenda, Seite 5) Dieses Fehlen umfassender dogmatischer Unterlagen hatte zur Folge, daß weitere Methoden/Verfahrensweisen zur Herleitung eines vollständigen Gesetzeskodexes entwickelt werden mussten, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird.

3. Die Grundlagen der scharia

Wie im vorangegangenen Kapitel angedeutet wurde, muss im Islam jedes Gesetz, jede praktische Anwendung und jede ideologisch begründete Bestimmung bis zu „usul al-fiqh“, den „Wurzeln der Rechtswissenschaft“ zurückverfolgt und von dort hergeleitet werden. Dies sind dem Wichtigkeitsgrad nach:

  • - der Koran
  • - die sunna (das Vorbild/Beispiel des Propheten) ► sunna
  • - der Analogieschluß (qiyas)
  • - die Übereinkunft (ijma) der ► umma, (der islamischen Gesamtgemeinde), insbesondere
  • jedoch der ► ulema (alle gegenwärtigen und vergangenen Rechtsgelehrten).

Auf dieser Basis ruht die gesamte islamische Gesetzgebung.

1. Der Koran ist das Fundament des Islam. Die Muslime nehmen an, daß die Worte des Korans von Allah inspiriert worden sind. Der traditionelle Islam lehrt, der Text des Korans stamme verbatim von einer ungeschaffenen und ewigen Steinplatte im Himmel, welche den identischen Wortlaut auf Arabisch – der himmlischen Sprache – enthalte.

► Urschrift

Wegen der Stellung des Korans als das Wort Allahs werden alle darin enthaltenen Gesetze als raumzeitlich transzendent und somit für alle Zeiten verbindlich betrachtet. Die meisten Muslime lassen das Argument nicht gelten, die Gesetze im Koran bezögen sich lediglich auf das 7. Jahrhundert und müßten uminterpretiert werden, falls sie in der heutigen Zeit Gültigkeit beanspruchen wollten. Also sind alle Gesetze und Verbote, welche im Koran gefunden werden – und es gibt zahlreiche davon – als wortwörtlich zu übernehmen; sie sind das göttliche Fundament der scharia-Gesetzgebung. So verbietet der Koran beispielsweise explizit und ausnahmslos den Verzehr von Schweinefleisch (Sure 5, Vers 3) bis zum heutigen Tag.

2. Die sunna des Propheten urteilt laut dem Koranvers:

Sure 33, Vers 21: Wahrlich, in dem Gesandten Allahs hattet ihr ein schönes Beispiel für jeden, der auf Allah und den Jüngsten Tag hofft und oft Allahs gedenkt.

Der Begriff sunna kann Beispiel, Muster oder auch Brauch bedeuten. Letztendlich stammt die Wichtigkeit der sunna direkt von der Funktion Mohammeds als dem Gründer des Islam ab. Die ahadith enthalten abertausende von Aussagen und Taten, welche Mohammed zugeschriebenen werden. Die sunna hängt von der Authentizität dieser ahadith ab. Teile davon wurden in der scharia-Gesetzgebung kodifiziert.

Die sunnitischen Muslime erhielten ihren Namen von dieser zweitwichtigsten Wurzel der islamischen Gesetzgebung. Sie beschäftigten sich intensiv mit den Worten und Taten von Mohammed und strengen sich an, es ihrem Propheten gleichzutun. Manchmal folgten sie wortwörtlich seinem Beispiel wie etwa der hoch angesehene Schriftgelehrte Ibn Hanbal, der Gründer einer der vier sunnitischen rechtswissenschaftlichen Schulen. Er aß deshalb keine Wassermelonen, weil er in den ahadith keine Stellen gefunden hatte, wo ein “Wassermelonen essender Mohammed” erwähnt wurde. Es ist also für Muslime äußerst wichtig herauszufinden, wie Mohammed in einer gegebenen Situation gehandelt hat.

3. Die dritte Wurzel der islamischen Rechtswissenschaft ist eigentlich eine Methode, nämlich der Analogieschluß: qiyas. Dazu möge ein Beispiel dienen. Basierend auf dem Koran und der sunna ist es den Muslimen verboten, Wein zu trinken. Weder der Koran noch die sunna verbieten jedoch expressis verbis die Konsumation von Bier, weil es offenbar im 7. Jahrhundert in Arabien noch unbekannt war. Durch den Prozeß der Analogie werden nun Bier sowie auch alle anderen alkoholischen Getränke verboten (zudem auch alle anderen berauschenden Drogen). Dies wird folgendermaßen begründet: da der Koran und die sunna offensichtlich Wein verboten haben weil er ein alkoholisches Getränk ist und deshalb berauschende sowie schädliche Qualitäten hat, müssen auch alle andere Arten von alkoholischen Getränken (und berauschenden Drogen) verboten werden. (Ayman Al-Zawahiri benützt diese rechtmäßige Interpretationsmethode, um Selbstmordattentate in seiner Abhandlung „Jihad, Märtyrertum und das Töten von Unschuldigen“ zu rechtfertigen.)

4. Die vierte und letzte Quelle der Rechtswissenschaft ist ebenfalls eine Methode: ijma, die übereinstimmende Meinung oder Konsens der ulema. Wenn sowohl im Koran als auch in der sunna keine Antwort auf eine bestimmte Frage gefunden werden kann und somit keine Analogie daraus abgeleitet werden kann, wird die Entscheidung von der Meinung der Mehrheit der ulema gefällt und zwar entsprechend dem hadith:

“Meine Gemeinde wird sich niemals über einen Irrtum einigen können”

Dieser Prozess kann jedoch nicht als demokratisch bezeichnet werden, denn der Konsens tritt nur als letzte Instanz in Kraft, falls der Koran und die sunna schweigen oder sich widersprechen. Die Autorität des Korans oder der sunna kann mit anderen Worten niemals von einem Konsens ersetzt oder abrogiert werden obwohl letzterer oft benützt wird, um die beiden Werke zu interpretieren. Überdies ist es letztlich der Konsens der ulema, welcher Gewicht hat, denn sie kennt die scharia-Gesetzgebung. Verfügungen, die von der muslimischen ulema aufgrund eines Konsensus erlassen werden, sind deshalb in der Regel verbindlich.

Die scharia-Gesetzgebung ist demzufolge unwiderruflich durch diese vier Quellen der Rechtswissenschaft begründet. Die scharia ist allumfassend und totalitär. Das Konzept der Trennung von Kirche und Staat ist dem Islam vollständig fremd.

Jede erdenkliche Handlung wird im irdischen Leben eines Muslims bewertet und zwar ist sie entweder

  • - verbindlich / pflichtgemäß (halal)
  • - empfohlen / wünschenswert
  • - neutral / erlaubt
  • - ungern gesehen / missbilligt / verpönt
  • - verboten / tabu (haram)

oder mit den Worten von T. Nagel: “Jetzt erörterte man die Frage, ob es überhaupt einen Ort und einen Augenblick im Dasein des Menschen geben könne, der nicht einer Bewertung nach den Kategorien des göttlichen Rechts unterliege.” (T. Nagel, ebenda, Seite 6)

Es folgen zwei Beispiele (aus Tausenden) welche die von T. Nagel erwähnte vollständige Reglementierung des Lebens eines gläubigen Muslims bzw. einer gläubigen Muslimin durch die Bestimmungen der scharia belegen.

1. Gesichtshaare bei Frauen

w51.1 Der Prophet sagte: „Möge Allah diejenigen Frauen verdammen, die sich für andere mit falschem Haar schmücken, sich tätowieren, sich Gesichtshaare oder Augenbrauen auszupfen oder um der Schönheit willen die Schneidezähne voneinander trennen. Durch all diese Prozeduren verändern sie das, was Allah geschaffen hat.

w51.2. (Ibn Hajar `Asqalani:) Nawawi sagt, daß „eine Ausnahme von diesem Verbot gemacht werden kann, wenn die Frau einen Bart oder einen Schnauz hat, oder wenn zwischen ihrer Unterlippe und dem Kinn Haare wachsen. In diesen Fällen ist es nicht gesetzeswidrig, wenn sie diese Haare entfernt, sondern es wird sogar eher empfohlen.“ Diese Bewilligung wird unter der Voraussetzung erteilt, daß ihr Ehemann davon weiß und seine Zustimmung dazu gibt. Das heißt, es ist verboten, wenn er seine Zustimmung nicht gibt, und zwar wegen der Täuschung, welche diese Tat beinhalten würde.

Quelle: Ahmad ibn Naqib al-Misri, Reliance of the Traveller, Amada Publications, Beltsville, USA, 1994

2. Rituelle Waschung mit Staub aus dem Teppich

Fatwa-Nr. 17356: Verrichtung der (ersatzweisen) rituellen Waschung mit dem Staub des Teppichs (anstelle von Wasser)

Das Ritual (der Waschung) darf mit allem durchgeführt werden, was vom Boden Staub aufwirbelt.

Von dem muslimischen Geistlichen Abdul-Karim bin Abdullah al-Khadeer (Institut für Islamfragen, dh, 21.04.2007) (Quelle)

Frage: Darf man mit dem Staub des Teppichs die (ersatzweise) rituelle Waschung (arab. tayammum) verrichten, so daß man mit den Händen auf die Erde schlägt (wo sich der Staub befindet)?

Antwort: “Ursprünglich wurde die (ersatzweise) rituelle Waschung mit Erde verrichtet, d. h. mit dem Staub, der von der Erde aufgewirbelt wurde (nachdem man mit den Händen darauf geschlagen hatte). Deshalb sind sich viele (muslimische) Gelehrte einig, daß man nur mit Erde die (ersatzweise) rituelle Reinigung verrichten dürfe, die Staub erzeugt. Andere sind jedoch der Meinung, man dürfe diese Reinigung mit allem, was auf der Erde liegt, verrichten. Infolge dessen ist das Verrichten dieses (Rituals) auf dem Teppich oder Matratzen, die Staub enthalten, gültig.

4. ijtihad

Ein wichtiger und zentraler Begriff der islamischen Rechtswissenschaft ist ► ijtihad die selbständige Rechtsfindung. Grundsätzlich steht es jedem Gläubigen frei, durch Studium der verbindlichen islamischen Schriften zu einem Rechtsproblem eine Lösung zu finden. Tatsächlich wurde das Verfahren der Rechtsfindung aber ausschließlich von Vertretern der ulema wahrgenommen. Die Anforderungen an die dafür ausgewählten islamischen Rechtsgelehrten sind hoch: ijtihad ist der Prozess der Entscheidungsfindung für ein spezifisches islamisches Gesetz durch das Studium des Korans und der sunna. Seit den Anfängen des Islam war das autoritative Studium solcher Quellen für eine auserwählte Anzahl von Schriftgelehrten, welche sich durch gewisse Qualifikationen auszeichnen, reserviert. Diese Qualifikationen beinhalten eine umfassende Kenntnis von Koran und sunna, das Wissen über die Prinzipien analogen Denkens (qiyas), durch dessen Anwendung Gesetze hergeleitet werden, sowie Kenntnis des Konsens (ijma) über beliebige Fragen im Zusammenhang mit Mohammed, seinen nächsten Gefährten und der Schriftgelehrten der Vergangenheit. Zu dieser Liste kommt noch die Forderung nach einer untadeligen Lebensführung dazu. Die Begründer der islamischen Rechtsschulen sind in dieser kleinen Gruppe von Schriftgelehrten, den mujtahedin zu finden. Nur sie sind qualifiziert, ijtihad auszuüben. Sie alle lebten jedoch vor langer Zeit. Während vieler Jahrhunderte ist den Muslimen abgeraten worden, das eigenständige Studium von Koran und sunna zu pflegen. Es wurde und wird vielmehr von ihnen erwartet, daß sie sich an die Regeln dieser etablierten Schulen halten. Seit dem Tod von Ahmed ibn Hanbal (nach ihm wurde die Schule gleichen Namens benannt) im Jahre 855 A.D. wurde niemand mehr von der Gemeinde der Sunniten als ein herausragender mujtahid anerkannt. Das heißt als jemand, der qualifiziert ist, eigene Gesetzgebungen zu erlassen, welche direkt auf dem Koran und der sunna und nicht auf den Entscheidungen von früheren mujtahedin basieren.

Der islamische Schriftgelehrte Cyril Glasse bemerkt, daß „das Tor von ijtihad schon seit 900 Jahren geschlossen ist und daß seither die Rechtswissenschaft (fiqh) lediglich Kommentare über Kommentare und Marginalien geliefert hat.” (Quelle)

Was die islamische Rechtswissenschaft zum zentralen Thema unserer Internetseite, zum “Heiligen Krieg” zu sagen hat steht in:

► Der “Heilige Krieg” und das Tor des ijtihad

5. Das islamische Strafrecht

Vergleiche: Die Scharia – Eine Einführung www.igfm.de/?id=463

Neben dem Ehe- und Familienrecht ergeben sich beim islamischen Strafrecht im Vergleich zu westlichen Menschenrechtsvorstellungen die größten Differenzen. Das islamische Strafrecht basiert auf einer Dreiteilung in

  • - Grenzvergehen (hadd-Vergehen)
  • - Wiedervergeltungsvergehen (quisas-Vergehen)
  • - Ermessensvergehen (taczir-Vergehen)

Zur Dokumentation:

► Strafgesetze der islamischen Republik Iran – Verderben stiften
► Strafgesetze der islamischen Republik Iran – Sexualdelikte

A. hadd-Vergehen
(Plural: hudud)

“Grenzvergehen” sind Straftaten, welche göttliches Recht verletzen. Es sind deshalb Kapitalverbrechen. Zu ausgesuchten Bereichen offenbarte Allah im Koran unabänderliche Rechtssetzungen – eben göttliches Recht – welches somit unbedingt einzuhalten ist und natürlich nicht verändert werden kann. Nicht nur das Strafmaß, sondern auch das Beweisverfahren ist im Koran und in der sunna vorgegeben. hadd-Vergehen umfassen folgende Bereiche:

  • - Ehebruch und Unzucht
  • - Verleumdung wegen Unzucht
  • - Schwerer Diebstahl
  • - Schwerer Straßen- und Raubmord
  • - Der Genuß von Wein (Alkohol und Drogen)

Die Überlieferungen (ahadith) benennen unter den Kapitalverbrechen zudem Homosexualität und Vergewaltigung, allerdings sind sich die muslimischen Theologen über das Strafmaß uneins. Auch der Abfall vom Glauben und Blasphemie verlangen nach Auffassung aller Rechtsschulen die Todesstrafe.

► Apostasie

Die Voraussetzung für eine Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens ist entweder ein Geständnis oder die Aussage von zwei männlichen Augenzeugen – bei Ehebruch, Unzucht und Vergewaltigung sogar das von vier männlichen Zeugen.

► Das Zeugenrecht in der scharia

Ein Geständnis muss freiwillig erfolgen, der Geständige muss mündig und geistig gesund sein sowie vorsätzlich gehandelt haben.

hadd-Strafen sind:

  • - Steinigung
  • - Kreuzigung
  • - Enthauptung
  • - Abschneiden von Händen und Füssen (wechselseitig)
  • - Auspeitschung
  • - Verbannung

B. quisas-Vergehen

Verbrechen mit Wiedervergeltung richten sich gegen Leib und Leben. Mord und Totschlag verletzen nach Auffassung der scharia nur menschliches Recht und gehören nicht zu den Kapitalverbrechen.

Verbrechen mit Wiedervergeltung erfordern die Zufügung derselben Verletzung bzw. die Tötung des Schuldigen unter Aufsicht des Richters. Falls der Berechtigte darauf verzichtet, kann dies in Zahlung von Blutgeld oder in eine religiöse Bußleistung umgewandelt werden. Die Blutrache bzw. die Entrichtung von Blutgeld ist eine vorislamische Institution, die von Allah im Koran übernommen wurde und somit eine sakrale Legitimierung erhalten hat.

C. taczir-Vergehen

Ermessensvergehen sind alle Straftaten, die nicht zu den Kapitalverbrechen und nicht zu den Verbrechen mit Wiedervergeltung gerechnet werden. Das Strafmaß ist dem Ermessen des Richters anheim gestellt. Dazu gehören unter anderem:

  • - Aufruhr
  • - Beleidigung
  • - Bestechung
  • - Urkundenfälschung
  • - Unterschlagung
  • - Verkehrsverstöße
  • - Betrug
  • - Erpressung
  • - Kidnapping

Der Richter kann harte Strafen verhängen wie langes Einkerkern, Verbannung, Auspeitschung, Geldstrafen und sogar die Todesstrafe. Dies vor allem bei Gewohnheitstätern ohne Aussicht auf Besserung: Homosexuelle, Häretiker, welche die islamische Gemeinschaft spalten, Rauschgifthändler und Spione.

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Die dogmatischen Grundlagen zum Sexualstrafrecht

In der folgenden Zusammenstellung zu unerlaubtem sexuellem Verhalten, seinem Nachweis und seiner Bestrafung werden wiederum die drei grundlegenden Werke der islamischen Trilogie verwendet:

  • - Koran
  • - sunna
  • - Sirat Rasul Allah (Biographie von Mohammed)

Weitergehende Berücksichtigung einzelner rechtlicher Codices würde Rahmen und Sinn dieser Textanalyse sprengen. Lediglich die Bestimmungen zum Sexualstrafrecht der islamischen Republik Iran wurden zur Verdeutlichung beigefügt.

► Strafgesetze der islamischen Republik Iran – Sexualdelikte

Im Islam gelten Ehebruch, vorehelicher Geschlechtsverkehr, Homosexualität und auch Selbstbefriedigung als Unzucht: „Unter Unzucht (zina) versteht das islamische Recht jede Form illegitimer sexueller Kontakte, also aller derjenigen, die ausserhalb der Ehe oder der Beziehung zwischen einem Besitzer und seiner Sklavin stattfinden.“ (Digitale Bibliothek: A. T. Khoury, L. Hagemann, P. Heine: Lexikon des Islam, S. 1371, Verlag Herder, 2004)

I) Vorehelicher Sexualverkehr und Ehebruch

A. Die koranischen Grundlagen zur Festlegung des Strafmasses

Gemäß den koranischen Bestimmungen ist der Geschlechtsverkehr Männern nur mit den eigenen Ehefrauen und den eigenen Sklavinnen erlaubt.

► Sexueller Mißbrauch von Sklavinnen und weiblichen Kriegsgefangenen

Sure 4, Vers 24: Und verboten sind euch die ehrbaren Ehefrauen, außer was ihr an Ehefrauen als Sklavinnen besitzt. Dies ist euch von Gott vorgeschrieben … (Übersetzung nach R. Paret)

Ehefrauen haben das sexuelle Glück ausschliesslich bei ihren Ehemännern zu suchen. Für sie ist im Koran nicht vorgesehen, daß sie sich für die Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse Sklaven halten können.

Vorehelicher Sexualverkehr ist verboten.

In Mekka sah Allah für Unzucht noch keine Strafe vor, Er warnte die Gläubigen aber vor dieser „üblen Handlungsweise“, die „etwas Abscheuliches“ sei:

Sure 17, Vers 32: Und laßt euch nicht auf Unzucht ein! Das ist etwas Abscheuliches – eine üble Handlungsweise!
(Übersetzung nach R. Paret)

Tatsächlich ist im Islam aber jeglicher vorehelicher und ausserehelicher Geschlechtsverkehr verboten und er ist zu bestrafen. Die Anweisungen dazu wurden von Allah aber erst in Medina erlassen, sie sind allerdings nicht eindeutig:

Einerseits finden wir im Koran folgenden Vers, der jedoch nur die Bestrafung von delinquenten Frauen regelt:

Sure 4, Vers 15: Und wenn welche von euren Frauen etwas Abscheuliches begehen, so verlangt, daß vier von euch (Männern) gegen sie zeugen! Wenn sie (tatsächlich) zeugen, dann haltet sie im Haus fest, bis der Tod sie abberuft oder Gott ihnen eine Möglichkeit schafft (ins Leben zurückzukehren)!
(Übersetzung nach R. Paret)

In diesem Vers werden zwei Forderungen aufgestellt:

1.wenn welche von euren Frauen etwas Abscheuliches begehen” muß dies von vier Männern bezeugt werden.

► Das Beweisprozedere zum Nachweis von Unzucht

2. Wenn dies erfolgreich geschehen ist, sind die delinquenten Frauen im Hause festzuhalten, bis sie sterben oder bis Allah “ihnen eine Möglichkeit schafft“. Was man unter dieser Formulierung verstehen soll, erläutert folgende exegetische Ausführung aus dem Tafsir al-Jalalayn:

Tafsir al-Jalalayn 4,15: Für diejenigen eurer Frauen, welche sich lüstern benehmen und Unzucht betreiben sucht vier muslimische Männer als Zeugen, und wenn sie es bezeugen, haltet sie im Haus