Latest Articles


  • En
14.11.2014
Jan-Werner Müller

Europe's twin dangers

Normative disintegration, normative disengagement

Should anti-democratic populism continue to cast a shadow across the continent, Europe may well succumb to a creeping process of disintegration, warns Jan-Werner Mller. Now is the time for renewed political engagement, if Europe's democracies are not to start slowly corroding from within. [ more ]

  • En
14.11.2014
Aleida Assmann

Reflections on 1914/2014

  • En
12.11.2014
Eurozine News Item

Livestreams from the European public sphere

  • En
05.11.2014
Eurozine News Item

26th European Meeting of Cultural Journals held in Italy

  • De
  • En
  • Sv
04.11.2014
Stefan Jonsson

The first man

  • more articles

New Issues


12.11.2014

New Eastern Europe | 5/2014

Ukraine: One year after the Euro-Maidan
12.11.2014

Dérive | 57 (2014)

Safe city
12.11.2014

Merkur | 11/2014

11.11.2014

Arena | 4/2014

Feministspöket [The ghost of feminism]
11.11.2014

Krytyka | 3-4/2014

  • more issues

Eurozine Review


  • En
29.10.2014
Eurozine Review

A centre receding

"Glnta" remaps migration; "Wespennest" heads north; "Mittelweg 36" engages in animal politics; in "Bltter" Marc Engelhardt slams the snail's pace of the Global North's response to Ebola; "Esprit" discerns the rehabilitation of the public sphere in Mediterranean youth uprisings; in "Letras Libres" Mark Lilla asks if there's a Plan B for non-democracies; "Res Publica Nowa" says that what Poland needs now is creativity; and "A2" finds the morphing of lit crit into advertising copy distasteful.

  • En
15.10.2014
Eurozine Review

This revolutionary moment

  • En
17.09.2014
Eurozine Review

Independence in an age of interdependence

  • En
03.09.2014
Eurozine Review

Was Crimea a preliminary exercise?

  • En
06.08.2014
Eurozine Review

What are you doing here?

  • all Eurozine Reviews


spacer
spacer
spacer
spacer

My Eurozine


If you want to be kept up to date, you can subscribe to Eurozine's rss-newsfeed or our Newsletter.
  • spacer Feed
  • Newsletter

spacer HOME
Articles
spacer donate  
Share |

spacer

  • De
  • En
  • PDF
Anne-Sophie Mutter, Manfred Sapper

Ein neuer musikalischer Kosmos

Anne-Sophie Mutter ber Witold Lutoslawski

Die Geigenvirtuosin von Weltrang Anne-Sophie Mutter erinnert sich an ihre Qualen vor der Urauffhrung von Chain II. Sie hatte mit unbekannten Hieroglyphen in Witold Lutoslawskis Partitur zu kmpfen, doch bis heute faszinieren sie die wunderbaren Klangbilder und die Farbigkeit seiner Musik. Mutter gewann dank Lutoslawski den Zugang zur zeitgenssischen Musiksprache und neue interpretatorische Freiheiten. Sie hlt nichts von der schematischen Einteilung in Strmungen, Epochen oder nationale Schulen und pldiert fr eine Musik, die aus der Stille kommt: "Diese brauchen wir dringend, denn es lrmt ganz gewaltig!"

Manfred Sapper: Frau Mutter, Sie kommen gerade von Ihrer Asientournee zurck. Dort haben Sie neben Beethoven und Mendelssohn auch Wolfgang Rihms Lichtes Spiel sowie Sebastian Curriers Time Machines aufgefhrt. Wie kommt zeitgenssische Musik in China und Taiwan an?

Anne-Sophie Mutter: Sehr gut. Zeitgenssische Musik wird von dem beraus gebildeten Publikum genauso interessiert aufgenommen wie in Europa oder in den USA. Da gibt es keinen Unterschied.

MS: Zeitgenssische Musik hatten Sie zunchst nicht in Ihrem Repertoire. Ihre ersten Sporen erwarben Sie sich mit Mozart und Beethoven.

ASM: Das stimmt, aber ich erinnere mich noch auf den Tag genau an meine erste Urauffhrung: Es war der 31. Januar 1986. Und ich spielte unter der Leitung von Paul Sacher mit dem Collegium Musicum just Witold Lutoslawskis Chain II.

spacer MS: Kannten Sie Lutoslawski damals bereits?

ASM: Ja, seit Anfang der 1980er Jahre dank meiner immer enger werdenden musikalischen Beziehung zu dem Schweizer Dirigenten und Mzen Paul Sacher, einem Jugendfreund meiner Lehrerin Aida Stucki. Paul Sacher und seine Frau Maja lebten in Pratteln bei Basel. Als Hauptaktionrin des Pharma-Unternehmens Hoffmann-La Roche hatte Maja ihr Interesse auf bildende Kunst gerichtet. Paul Sacher frderte zahlreiche Komponisten durch die Vergabe von Kompositionsauftrgen. Maja und Paul Sacher luden mich ab und an zu sich ein. Im Hause Sacher lernte ich viele Maler und Bildhauer kennen, vor allem aber – mit Ausnahme von Sofija Gubajdulina – auch alle Komponisten, die spter fr mich schrieben. Das machten sie zunchst im Auftrag Paul Sachers. Als ich meine groe Scheu etwas ablegen konnte, habe ich auch schon mal selbst einen Auftrag vergeben. Jedenfalls begegnete ich bei den Sachers zum ersten Mal Witold Lutoslawski. Er regte mein Interesse fr zeitgenssische Musik an. Das htte sich jedoch nicht in einer Urauffhrung niedergeschlagen, wenn nicht im Sommer 1985 eines Tages Paul Sacher aufgetaucht wre. In der Hand hatte er die Partitur von Chain II und sagte: "Hier ist ein Werk von Witold, und das wird im Januar uraufgefhrt."

MS: Welchen Eindruck machte Witold Lutoslawski auf Sie?

ASM: Trotz aller Begegnungen vor der Urauffhrung habe ich ihn damals nur aus der Ferne bestaunt. Wie berhaupt der Kosmos der schaffenden Knstler fr mich immer etwas sehr Mystisches, Besonderes, so ganz Unweltliches war und geblieben ist. Ich habe nie versucht, in diesen Begegnungen eine kumpelhafte Nhe herzustellen. Witold Lutoslawski hatte etwas engelhaft Reines an sich. Das finde ich auch in seiner Musik immer wieder. Effekthascherei war ihm fremd. Er war ganz der Form und dem Ausdruck zugewandt. Dies war auch in seiner Persnlichkeit zu finden. Das hat mich von Anfang an sehr berhrt und demtig gemacht.

MS: Das klingt aber nicht mehr danach, als htten Sie ihn nur aus der Ferne bestaunt...

ASM: Ja, es entwickelte sich eine wunderbare – leider viel zu kurze – Freundschaft. Sie gipfelte darin, dass Witold im Januar 1989 Gast bei meiner Hochzeit war. Als Hochzeitsgeschenk schrieb er mir ein kleines Wiegenlied. Schon damals hatte ich Schwierigkeiten zu schlafen. Das begleitet mich mein ganzes Leben. Offensichtlich kmpfte auch er ab und zu mit Schlaflosigkeit. Denn das Werk hatte er mit der berschrift versehen: "In case you can't sleep read this." Das fand ich ganz besonders lieb durchdacht. Dieses Lullaby hat Einzug gehalten in mein Rezitalrepertoire. Ich spiele es immer wieder als Zugabe.

MS: Als Sie 2008 den Ernst von Siemens-Musikpreis verliehen bekamen, erinnerten Sie sich in Ihrer Danksagung ebenfalls an die Urauffhrung von Lutoslawskis Chain II im Januar 1986. Sie sagten damals: "Das war der Beginn einer neuen ra fr mich. Sie ffnete mir die Ohren fr einen neuen Kosmos." Was war das Neue an diesem musikalischen Kosmos?

ASM: Das Neue war fr mich die Entdeckung der zeitgenssischen Musiksprache generell. Lutoslawski hat mir das Fenster in die Zukunft geffnet. Es htte nicht glckhafter sein knnen. Ich habe in ihm einen Komponisten gefunden, der in mir eine Saite zum Klingen brachte, die wohl schon vorhanden war, aber durch kein mir bis dahin bekanntes Werk zum Schwingen gebracht wurde. Es gab nicht diese fahlen non vibrato- Momente, die ich erst mit Lutoslawskis Musik entdeckt habe, diese Sphre zwischen piano und der Entstehung des Klanges, aus dem Nichts heraus, die mich damals fasziniert hat und die mich bis heute erschttert. Neu war fr mich aber auch die Erfahrung, welchen Raum er dem Interpreten fr eigene Kreativitt schafft. Auch wenn wir nichts wirklich Neues schaffen, ist doch die Interpretation in seinem Werk ein kreativer Prozess. Bereits in den 1960er Jahren hatte er die Form des ad libitum entwickelt...

MS: ... also die Spielanweisung, die Ihnen als Solistin mehr Freiheit, etwa bei der Gestaltung des Tempos, gibt...

ASM: Nicht nur mir als Solistin. Dahinter steht Lutoslawskis Erkenntnis, dass wir Musiker, gerade auch das Orchester, sehr oft der kleinsten Bewegung des Dirigentenstabes zu folgen haben. In gewisser Weise kann dies zu einer Einschrnkung der Interpretationsfhigkeit eines jeden Musikers fhren, egal ob als Solist oder Partner im Orchester. Bei der ad libitum-Spielweise handelt es sich jedoch nicht um eine Anarchie in der Partitur. Vielmehr sind es auskomponierte musikalische Sequenzen. Doch es bleibt ganz dem einzelnen Spieler berlassen, wie er deren zeitlichen Einsatz und Wiederholungsduktus gestaltet. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen: Als ich diese neue Struktur der ad libitum-movements kennen lernte, diese Dialoge zwischen dem im Orchester befindlichen Soloklavier und der Sologeige, die besonders in der Partita einen entscheidenden Raum genieen, habe ich eine mir bis dato unbekannte Freiheit und eine Frische gefunden. Und je hufiger ich dieses Werk wiederhole, desto strker kann ich diese Freiheit und Frische zur Geltung bringen.

MS: Haben Sie diese Freiheit von Lutoslawski persnlich vermittelt bekommen oder sich selbst in der Auseinandersetzung mit der Partitur erarbeitet?

ASM: Die Partitur lernt man als Musiker natrlich erst mal alleine kennen. Ich erinnere mich sehr genau an meinen spannungsreichen Sommer 1985. Anfangs war es eine sehr qulende Arbeitsphase, denn ich wusste so gar nichts mit den Hieroglyphen in der Partitur anzufangen. Ich habe aber dann ber diese wunderbaren Klangbilder und die Farbigkeit von Lutoslawskis Musik einen direkten, sehr starken und emotionalen Zugang zur Partitur gefunden. Ich war verzaubert und bin es nach wie vor.

MS: Hat Lutoslawski Ihre interpretatorische Praxis bereichert?

ASM: Ohne Frage. Das gilt aber fr jedes zeitgenssische Werk, das ich seither urauffhren durfte.

MS: Worin sehen Sie den grten Unterschied zwischen der Interpretation eines Violinkonzertes aus der Feder von Mozart oder Beethoven oder eines Werks von Sofija Gubajdulina, Wolfgang Rihm oder Krzysztof Penderecki?

ASM: Selbst wenn man sich von jeder Erwartungshaltung freimachen mchte, ist das klassische Repertoire zum einen sehr stark von einer traditionellen Einstellung und Erwartung bestimmt. Das ist eine Last, die die zeitgenssische Musik nicht mit sich trgt. Zum anderen habe ich bei Zeitgenossen immer die Mglichkeit zur Nachfrage. Dadurch kann ich vielleicht auch einmal an dem interpretatorischen Ziel – soweit es dieses berhaupt gibt – ankommen. Interessant war und ist fr mich immer wieder in der Auseinandersetzung mit einem lebenden Komponisten, auch im persnlichen Dialog, dass die Offenheit gegenber unterschiedlichen Interpretationsweisen etwas ist, was uns Interpreten einen sehr viel greren Spielraum lsst, als dies fr das klassische Repertoire zu gelten scheint. Dort herrscht ein Sicherheitsdenken, was heutzutage leider wahnsinnig beliebt ist. Es ist wie die Suche nach einer Formel: Es hat einmal geklappt und war erfolgreich, ergo muss das der richtige Zugang sein. Das ist eine fatale Philosophie fr uns Interpreten. Dies knnen Sie sich grndlich abschminken, sobald Sie mit einem Komponisten sprechen. Nebenbei lsst das sehr interessante Rckschlsse auf die Vergangenheit zu. Es gibt in der Literatur gengend Hinweise auf die Spielpraxis von Mozart. Schon fr das 18. Jahrhundert lesen wir, wie wild und leidenschaftlich Mozart oder noch frher auch Bach mit ihren Partituren umgingen und wie unterschiedlich die Musik immer wieder erklang. Hinzu kommt noch die danach bliche Praxis der Improvisation. Ich verstehe gar nicht, weshalb beim klassischen Repertoire nur ein Weg nach Rom fhren soll.

MS: Sie haben vorhin Lutoslawskis Bedeutung fr die Moderne unterstrichen. Teilen Sie meinen Eindruck, dass Lutoslawski heute aus den Konzertslen weitgehend verschwunden ist?

ASM: Ich kenne nicht die Konzertprogramme weltweit. Aber Sie knnten traurigerweise Recht haben. Selbst wenn ein groer Komponist stirbt, heit das nicht, dass sein Werk genauso prsent bleibt wie zuvor. Denn es gibt andere Komponisten, die noch leben und teilweise ihre Werke auch noch selbst dirigieren. Denken Sie an Lutoslawskis Landsmann Penderecki oder an den groen Pierre Boulez. Es liegt zuerst an uns Interpreten, dass wir Witold Lutoslawski wieder ins Gedchtnis rufen. Witolds 100. Geburtstag ist ein wunderbarer Anlass, sich wieder seiner zu erinnern. Ich war und bin eine getreue Gefolgsfrau, die ihn gerne und oft ins Spiel bringt. Tragischerweise blieben uns nur wenige gemeinsame Jahre bis zu seinem Tod. Ich wei um sein Bemhen, mir ein Violinkonzert zu schreiben, aber es hat nicht sein sollen. Deshalb bin ich umso dankbarer, dass er mir mit der orchestrierten Version der Partita ein zweites Werk geschaffen hat. Vor allem drfen wir das Interludium nicht vergessen. Dieses konzipierte er explizit fr die Auffhrung von Chain II und der Partita als geschlossene Konzerthlften. Er schuf dieses kurze Solo-Orchesterwerk quasi als Brcke, um aus diesen zwei Werken eine Einheit zu machen. Ich bin sehr froh, dass es das Interludium jetzt auch endlich auf CD gibt, so dass der Zuhrer den Komplex als Ganzes erkennen kann.

MS: Sie fhren 2013 auf drei Tourneen jeweils Lutoslawski auf. Haben wir uns das so vorzustellen, dass Sie gegenber den Konzertveranstaltern bestimmen, was Sie spielen?

ASM: (lachend) Ja, immer! Es ist ganz normal, dass ein Knstler aus seinem stndig wachsenden Repertoire erst einmal ein Programm vorschlgt, das ihm besonders am Herzen liegt. Wenn es um zeitgenssische Musik geht, da schlgt mein Herz immer besonders laut und deutlich. Ich habe bisher groes Glck gehabt, dass ich immer Mitstreiter finde, ob das Musiker sind oder Veranstalter oder ganz besonders auch in Form eines treuen Publikums, die dem gerne folgen.

MS: Seit 1986 haben Sie etwa 20 Werke uraufgefhrt. Neben den bereits erwhnten Sebastian Currier, Sofija Gubajdulina, Wolfgang Rihm und Krzysztof Penderecki stammen sie von Henri Dutilleux, Norbert Moret und Andr Previn. Einige haben Sie gar zur "Hebamme" zeitgenssischer Musik erklrt. Aber uns scheint, dass Sie einer spezifischen Strmung der zeitgenssischen Musik verpflichtet sind. All diese Komponisten bewegen sich in der Tradition des Belcanto. Sie setzen auf die starke gesangliche Komponente der Violine. Komponisten wie Luigi Nono oder Helmut Lachenmann, die radikal mit Klang und Gerusch experimentieren, die traditionelle musikalische Auffassung in Frage stellen oder gar zerstren, die auf Tonalitt und Tonhhen basiert, sind nicht in Ihrem Repertoire. Woher kommt das?

ASM: Diese Gegenberstellung ist gefhrlich, weil Sie einen Komponisten wie Lachenmann nicht auf klangliche Experimente oder Verfremdungen reduzieren knnen. Mit der schematischen Einteilung von Musik macht man es sich ohnehin viel zu einfach. Ich habe auch ein sehr groes Problem mit der Einteilung in Klassik und Romantik. Da nivellieren Sie die Musik! Es ist schon richtig, dass die Werke, die fr mich geschrieben wurden, aus der freiwilligen Entscheidung der Komponisten sehr stark auf dem Belcanto beruhen. Aber nicht nur: Nehmen Sie Krzysztof Pendereckis Zweites Violinkonzert Metamorphosen oder im Besonderen Sofija Gubajdulinas In tempus praesens. Dieses hat eine riesige Bandbreite an Ausdrucksformen. Da geht es vordergrndig um die Zerstrung der Gttin Sophia, aber es ist ein sehr autobiographisches Werk, das von der schweren Zeit Gubajdulinas unter dem Sowjetregime handelt. In diesem Werk gibt es das abgrundtief Schreckliche, Dunkle, aber eben auch das romantische Element – der Weg aus der Dunkelheit ins Licht. In allen Werken, die fr mich geschrieben wurden, gibt es auch das Dstere und Zerrissene. Aber ausgehend vom Instrument Geige gibt es bei den Komponisten offensichtlich den Wunsch und die Tendenz zum Licht – und zum Gesang. Das finde ich auch etwas sehr Schnes. Die Realitt ist grausam genug. Warum nicht auch in der Musik immer wieder den Weg nach oben suchen?

MS: Wenn Sie vor einer schematischen Einteilung in Strmungen oder Epochen warnen, knnen Sie vermutlich auch mit dem Begriff "nationale Musik" wenig anfangen. Oder haben Sie durch Lutoslawski "polnische Musik" kennen gelernt?

ASM: Wrden wir Antonn Dvorak nur in eine bhmische Schule einordnen wollen? War er nicht auch in Amerika gefragt, um eine amerikanische Musiksprache zu erfinden? Und war man nicht glcklich ber seine Sinfonie Aus der Neuen Welt? Dvorak gilt zurecht als einer, der in seiner Musik die amerikanische Tonsprache mit ihren Einflssen der American Indians, der Plantagensklaven, des Gospels und des Jazz verwirklicht hat. Ich glaube, letzten Endes ist jeder Komponist sein eigener Kosmos. Natrlich spielt der kulturelle Einfluss des Heimatlandes eine groe Rolle. Aber Lutoslawski stand nicht nur in der polnischen sinfonischen Tradition, sondern war von Claude Debussy und Maurice Ravel so stark beeinflusst, dass er wahrscheinlich strker ein impressionistischer Komponist war als fast alle anderen seiner Generation.

MS: Woher kam eigentlich seine Affinitt zu den Franzosen? Das reicht ja bis in die Titelgebung zahlreicher Stcke.

ASM: Das ist richtig. Er hat sehr oft erwhnt, dass er seine Wurzeln in Debussy sieht. Ich glaube, das war die Suche nach der feinsinnigen Klangfarbe, der absoluten Subtilitt in der Orchestration.

MS: Mitunter klagen zeitgenssische Komponisten aus Osteuropa, dass es fr sie auch zwanzig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch immer schwierig sei, im westlichen Konzertbetrieb rezipiert zu werden. Halten Sie diese Klage fr berechtigt?

ASM: Nein, berhaupt nicht. Das Problem ist ein anderes. Sofija Gubajdulina zum Beispiel war als Knstlerin ber Jahrzehnte in ihrem Land eingesperrt, weil sie nicht bereit war, sich als politisches Zugpferd fr die Sowjetunion auf dem Globus einspannen zu lassen. Wenn ein Komponist nicht reisen kann, dringt auch seine Musik schwerer nach drauen. Das liegt dann aber nicht an der mangelnden Rezeptionsbereitschaft des Westens. Zustzlich bedarf es immer auch groer Vermittler und Interpreten vom Range eines Gidon Kremer. Ihm alleine ist es zu verdanken, dass in den 1980er Jahren Sofija Gubajdulinas Stern in der ganzen Welt aufging. Bis dahin wussten wir fast nichts von ihr.

MS: Was erwarten Sie vom Lutoslawski-Gedenkjahr 2013?

ASM: Dass die Orchester in ihrer Hinwendung zu diesem Repertoire wieder sehr viel mehr Feinsinn und Klangsinn entwickeln, so wie dies immer auch im Falle Mozarts und Haydns ntig ist. Lutoslawskis Musik verlangt sehr viel Feinsinn und Verstndnis fr multiple Spannungsbgen, sie bedarf der Phrasierung und der besonderen inneren Balance in einem Orchester. Wir sollten uns auf eine Musik besinnen, die aus der Stille kommt. Diese brauchen wir dringend, denn es lrmt ganz gewaltig. Im Augenblick dominiert immer wieder ein Repertoire, das sich eher auf der plakativen, lauten Ebene bewegt.

MS: Was werden Sie von Lutoslawski spielen?

ASM: Just an seinem Geburtstag am 23. Januar werde ich in Warschau beide Werke spielen, die mir gewidmet sind – und zwar mit dem Warschauer Philharmonischen Orchester unter Antoni Wit. Danach werde ich auf eine kleine Europatournee gehen und jeweils die orchestrierte Version der Partita spielen. Bereits in diesem Herbst hatte ich als Vorbereitung auf seinen groen Geburtstag die Partita gespielt. Die werde ich im Frhling 2013 auch in Japan spielen, um Witold Lutoslawski zu ehren, zu feiern und in einem Teil der Welt bekannt zu machen, in dem er nicht so stark verankert ist wie in Polen, Deutschland und im angelschsischen Raum. Auch die Partita ist ein irrsinnig spannendes, wunderbares Werk.


 



Published 2013-03-08


Original in German
First published in Osteuropa 11-12/2012 (German version); Eurozine (English version)

Contributed by Osteuropa
© Anne-Sophie Mutter, Manfred Sapper / Osteuropa
© Eurozine
  • Write a letter to the editor.
  • PDF
  • print
Stay informed
spacer Facebook   spacer Twitter   spacer RSS
spacer Eurozine Newsletter
spacer Eurozine Review
 

spacer Focal points     click for more

Beyond Fortress Europe

spacer
The fate of migrants and refugees attempting to enter Fortress Europe has triggered a new European debate on laws, borders and human rights. A debate riddled with the complex, often epic, narratives that underlie immediate crisis situations. [more]

Russia in global dialogue

spacer
In the two decades after the end of the Cold War, intellectual interaction between Russia and Europe has intensified. It has not, however, prompted a common conversation. The focal point "Russia in global dialogue" seeks to fuel debate on democracy, society and the legacy of empire. [more]

Ukraine in focus

spacer
Ten years after the Orange Revolution, Ukraine is in the throes of yet another major struggle. Eurozine provides commentary on events as they unfold and further articles from the archive providing background to the situation in today's Ukraine. [more]

The ends of democracy

spacer
At a time when the global pull of democracy has never been stronger, the crisis of democracy has become acute. Eurozine has collected articles that make the problems of democracy so tangible that one starts to wonder if it has a future at all, as well as those that return to the very basis of the principle of democracy. [more]

The EU: Broken or just broke?

spacer
Brought on by the global economic recession, the eurocrisis has been exacerbated by serious faults built into the monetary union. Contributors discuss whether the EU is not only broke, but also broken -- and if so, whether Europe's leaders are up to the task of fixing it. [more]

gipoco.com is neither affiliated with the authors of this page nor responsible for its contents. This is a safe-cache copy of the original web site.