Archive for the ‘Jungle World’ Category
Kalter Kaffee
Friday, February 17th, 2012This article appears in Jungle World today.
Bei seinem Indonesien-Besuch in der vergangenen Woche entschied der ehemalige britische Parlamentsabgeordnete George Galloway offenbar, das weltweit bevölkerungsreichste muslimische Land könne eine gesunde Dosis des guten, alten Antisemitismus gebrauchen. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Irakkriegsgegner einen Namen als Großbritanniens führender Verteidiger arabischer Diktatoren kurz vor ihrem Abgang gemacht. Er war ein großer Bewunderer Saddam Husseins und scheint auch ein Fan von Bashar al-Assad und Mahmoud Ahmadinejad zu sein. In Jakarta machte er sich anscheinend Sorgen darüber, dass die Indonesierinnen und Indonesier der heiligen Sache der Zerstörung des einzigen jüdischen Staates nicht die nötige Aufmerksamkeit entgegenbringen, also ermutigte er sie, ihre Bemühungen zu verstärken. »Ich sagte ihnen, dass es in Jakarta vielleicht keine israelische Botschaft gibt, aber Starbucks gibt es an jeder Ecke und dort wird die israelische Flagge geschwenkt«, wies Galloway die indonesischen Muslime netterweise auf ein naheliegendes Ziel für antiisraelischen Protest hin.
Offenbar glaubt Galloway an die Mär, dass Starbucks von jedem verkauften Latte Macchiatto einen gewissen Anteil an die israelische Armee spende. Die Profite des Unternehmens würden verwendet, um Waffen mit weißem Phospor zu kaufen. Solche Behauptungen kursieren im Internet. Dass es sich bei dem berüchtigten Brief von Howard Schultz, dem Gründer von Starbucks, in dem er all dies zugibt, um eine Fälschung handelt, ist ausreichend belegt. Das Gleiche gilt für die »Protokolle der Weisen von Zion«, doch das verhindert nicht, dass sie die Bestsellerlisten quer durch die muslimische Welt anführen. Galloway reist weiter durch Asien.
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Ölarbeiterstreiks in Kasachstan
Saturday, January 21st, 2012This article appears in the current issue of Jungle World. A Russian translation is here.
Im Parlament Kasachstans wird es künftig mehrere Parteien geben. Das ist nach der Wahl am Sonntag so sicher wie der Sieg der Regierungspartei Nur Otan, denn Präsident Nursultan Nasarbajew wollte es so. Die nun im Parlament zugelassenen Parteien stehen dem Regime nahe. Oppositionelle Kandidaten waren auch diesmal nicht zugelassen. Dass Nasarbajew es für nötig hält, seinem Regime den Anschein von Pluralismus zu geben, wird auf die wachsende Unzufriedenheit im Land zurückgeführt.
Deren deutlichster Ausdruck ist ein seit Monaten andauernder Ölarbeiterstreik in Zhanaozen. Am 16. Dezember kam es in dieser westkasachischen Stadt zu Demonstrationen und Unruhen, mindestens 16 Menschen wurden getötet. Noch immer gilt dort der Ausnahmezustand. Der Hintergrund des Konflikts ist umstritten. Den Unterstützern des trotzkistischen Committee for a Workers’ International (CWI) zufolge gab es ein nicht provoziertes Massaker an unbewaffneten Streikenden durch die Polizei. Das CWI zog sogar Parallelen zu den »Juliaufständen« des Jahres 1917 im russischen Petrograd. Damals kam es zu spontanen Demonstrationen von Soldaten und Arbeitern gegen die Übergangsregierung. Die Bolschewiki versuchten, die Demonstrationen zu dominieren und die Regierung zu stürzen. Diese reagierte sehr repressiv und schoss Hunderte friedliche Demonstrierende nieder.
Aktivisten kasachischer, russischer und internationaler Gewerkschaftsbewegungen kritisieren jedoch das CWI. Die streikenden Ölarbeiter seien manipuliert und von Außenstehenden provoziert worden, was zu den tragischen Ereignissen geführt habe, bei denen Gebäude niedergebrannt wurden und Gewalt von beiden Seiten ausging. Auf der einen Seite steht der Vorwurf des Verrats, auf der anderen der Vorwurf, dass sich eine kleine Gruppe linker Abenteurer mit kasachischen Oligarchen, die gegen das derzeitige Regime opponieren, verbündet und eine Massenbewegung in eine unausweichliche Niederlage geführt habe.
Der Streik der Ölarbeiter begann im Mai des vergangenen Jahres. Sie verlangten anfangs höhere Löhne, seit kurzem gehört zu ihren Forderungen auch die Nationalisierung des Ölsektors. Ihrem illegalisierten Streik wurde von Anfang an mit Gewalt und Repression begegnet. Eine die Arbeiter vertretende Anwältin wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, einige Unterstützer und ihre Kinder fielen Morden zum Opfer.
Doch gebe es, so eine Stellungnahme der International Union of Foodworkers, keine gewählten Repräsentanten der Arbeiter, die mit der Unternehmens- und Staatsführung verhandeln könnten. So sei eine Gelegenheit für von außen kommende Gruppen wie das CWI entstanden, eine Führungsrolle einzunehmen und zu beanspruchen, für die Arbeiter zu sprechen.
Paul Murphy aus Irland, ein Abgeordneter des EU-Parlaments und Mitglied des CWI, flog in die Region, traf die Streikenden und hielt Pressekonferenzen ab. Kritiker des CWI sagen, Murphy habe den Streikenden Hoffnungen gemacht und sie so dazu gebracht, anzunehmen, dass sie nur seine Unterstützung und keine eigene Organisation bräuchten. Er und seine Gruppe spielten eine führende Rolle in der Kampagne, die sich nicht nur gegen die autoritäre Regierung Nursultan Nasarbajews richtete, sondern auch gegen die internationale Gewerkschaftsbewegung.
Das hat den Verbänden eine Solidarisierung nicht erleichtert. Sie fühlten sich nicht willkommen, so dass selbst auf das Massaker am 16. Dezember keine Reaktionen folgten. Zum Beispiel sträubte sich die für den Ölsektor verantwortliche globale Gewerkschaftsföderation ICEM dagegen, sich mit einem Konflikt zu befassen, in dem sie ständig das Ziel von Attacken seitens des CWI ist. Eine andere globale Gewerkschaftsföderation, die International Transport Workers’ Federation, gab eine klare Stellungnahme ab, die das Massaker verurteilte.
Der internationale Gewerkschaftsbund ITUC, dessen Präsident Michael Sommer vom DGB ist, reagierte auf die Gewalt vom Dezember mit einer ausgewogenen Erklärung, ohne die ganze Schuld dem Regime zuzuschieben. Ähnlich äußerte sich Sharan Burrow, die Generalsekretärin des ITUC: »Die Gewalt muss sofort aufhören, und alle Beteiligten müssen anerkennen, dass die einzige Lösung für den Konflikt ein offener Dialog und Verhandlungen sind.« Das kann wohl nicht als eine klare Anklage einer Seite verstanden werden.
Videos von jenem Tag können kaum zur Aufklärung beitragen. Auf einigen sind Zivilisten, wahrscheinlich Streikende, zu sehen, die auf einer Bühne Lautsprecher und andere Gegenstände umstürzen, die für die Feierlichkeiten am Unabhängkeitstag vorgesehen waren. Andere Videos zeigen schwerbewaffnete Polizisten, die Demonstrierende jagen und auf sie schießen. Niemand streitet ab, dass mehrere Gebäude niedergebrannt wurden, unter anderem das Rathaus und der Hauptsitz des Ölunternehmens. Unterstützer der Streikenden behaupten, dass jegliche Gewalt von der Polizei provoziert worden sei.
Auch wenn die internationale Gewerkschaftsbewegung in ihren offiziellen Handlungsmöglichkeiten beschränkt ist, unterstützte sie inoffiziell zwei Online-Kampagnen des Gewerkschaftsportals Labour Start. Die zweite, erfolgreichere Kampagne, die am Tag der Morde in Zhanaozen begann, wurde von internationalen Gewerkschaftern betrieben. Sie fordert von der Regierung Kasachstans, »die Gewalt gegen friedlich protestierende Ölarbeiter und ihre Familien in Zhanaozen sofort zu beenden«.
Eine unabhängige Berichterstattung ist in Kasachstan nicht möglich, überdies versuchte das Regime mit aller Macht auch andere Kommunikationskanäle im Land auszuschalten. Aber kürzlich erschienene Berichte weisen darauf hin, dass die ersten Schätzungen, die die Regierung bezüglich der Anzahl der Getöteten und Verwundeten veröffentlicht hatte, zu niedrig gewesen sein könnten. Selbst wenn die Umstände der Straßenkämpfe unklar bleiben, steht außer Frage, dass die Polizei exzessive Gewalt angewendet hat.
Derzeit hat sich die Lage in Zhanaozen beruhigt. Die Arbeiter hielten wieder friedliche Demonstrationen ab. Trotz des Ausnahmezustands wurde am Sonntag auch hier gewählt, ein Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters berichtete jedoch, es herrsche ein Klima der Angst in der Stadt. Nach offiziellen Angaben erhielt Nur Otan in Zhanaozen 70 Prozent der Stimmen.
Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion vor 20 Jahren regiert Nasarbajew ohne legale Opposition, daran wird auch diese Wahl nichts ändern. Die Organisierung einer unabhängigen Gewerkschaft in dem für das Überleben des Regimes essentiellen Ölsektor wäre eine ernste Herausforderung. Derweil diskutieren Aktivisten in Russland und anderen Ländern die nächsten Schritte. Man einigte sich darauf, Geld für die Familien der Streikenden zu sammeln, insbesondere für diejenigen der Getöteten und Verwundeten. Und trotz der standhaften Feindseligkeit des CWI setzen globale Gewerkschaften ihre Kampgane fort, um Druck auf das Regime Nasarbajews auszuüben. Es muss für die Gewalt verantwortlich gemacht werden.
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Kein Zutritt für Gewerkschafter
Sunday, December 11th, 2011This article appeared in Jungle World.
Zwei Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen in der Türkei und den USA gehen gegen gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter vor, obwohl die Firmen internationalen Rahmenvereinbarungen zu Arbeiterrechten zugestimmt haben.
Als die Delegation eintraf, stand an den Fabriktoren eine Reihe Polizisten mit Schutzschilden. Weitere Polizisten hielten sich in der Fabrik in Bereitschaft, ein großer Polizeibus parkte davor. Ende November standen 62 ausgeschlossene Arbeiter vor einer Metall verarbeitenden Fabrik außerhalb Istanbuls. Den Arbeitern, Mitglieder der türkischen Metallgewerkschaft Birlesik Metal-IS, wird seit Juli der Zutritt zur Fabrik in Gebze verwehrt.
Das türkische Unternehmen, eine Tochtergesellschaft der transnationalen GEA Group AG, die ihren Sitz in Bochum hat, behauptet, die Arbeiter hätten drei Mal jeweils eine Viertelstunde gestreikt. Diese »Streiks« fanden jedoch während der Tee- und Mittagspausen der Arbeiter statt. Türkische Arbeitsgerichte und ein vom Unternehmen eingesetzter unabhängiger Ermittler haben bereits entschieden, dass die GEA im Unrecht ist. Aber das Unternehmen weigert sich, die Aussperrung zurückzunehmen.
Die GEA gilt offiziell als »verantwortungsvoller Arbeitgeber«, sie ist eines der Unternehmen, die die internationalen Rahmenvereinbarungen mit der International Metalworkers’ Federation (IMF) unterzeichnet haben. Das ist bedeutsam, denn obwohl es sich um ein deutsches Unternehmen handelt, sind fast 60 Prozent der Belegschaft in Betrieben in anderen Ländern beschäftigt.
In der Rahmenvereinbarung, die 2003 unterschrieben wurde, bekennt sich das Unternehmen zu seiner sozialen Verantwortung und dem Grundrecht aller Beschäftigten, Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten. Explizit verpflichtet die Vereinbarung dazu, die Konventionen 87 und 98 der International Labour Organization (ILO) zu respektieren, die das Recht auf freie Assoziation und kollektive Verhandlungen festschreiben. Diesem Abkommen folgten ähnliche Rahmenvereinbarungen zwischen der IMF und anderen transnationalen Konzernen mit Sitz in Deutschland, wie Volkswagen und Daimler-Chrysler.
Indem sie die 62 Arbeiter in Gebze aussperrte, verstieß die Konzernleitung gegen diese Vereinbarung. Sie weigerte sich, mit Vertretern der Gewerkschaft oder der IMF zu verhandeln. Kirill Buketov von der International Union of Foodworkers, einer der Sprecher der Streikpostenkette, nannte die Entscheidung der GEA, die Rahmenvereinbarung zu ignorieren und zu versuchen, die Gewerkschaft in der Türkei auszuschalten, eine »Kriegserklärung« an die internationale Gewerkschaftsbewegung. Adnan Serdaroglu, Gewerkschaftsführer von Birlesik Metal-IS, sagte vor den Demonstranten: »Falls GEA den Mut dazu hat, soll das Unternehmen nach Deutschland gehen und das Gleiche mit den deutschen Arbeitern machen – sie entlassen, weil sie gewerkschaftlich organisiert sind.«
Labour Start, ein Online-Portal für Nachrichten aus der internationalen Gewerkschaftsbewegung, begann daraufhin eine mehrsprachige Online-Kampagne, in der die GEA dazu aufgefordert wird, mit der Gewerkschaft zu verhandeln, die gefeuerten Arbeiter wieder einzustellen und eine Einigung auszuhandeln. Derzeit übt die IMF sowohl auf die IG Metall als auch auf den DGB Druck aus, eine aktivere Rolle zu übernehmen und die Streikenden zu unterstützen. Bislang gab es von Seiten der deutschen Arbeiter und Gewerkschaften kaum Unterstützung für die türkischen Kollegen der GEA. Das ist nicht neu. Nur zwei Monate zuvor hatte ein anderer weltweiter Gewerkschaftsbund, die UNI Global Union, Labour Start darum gebeten, eine Online-Kampagne gegen ein anderes deutsches Unternehmen zu beginnen: die Deutsche Telekom. Diese Kampagne richtete sich gegen die Weigerung des Konzerns, den Beschäftigen der Tochtergesellschaft T-Mobile USA zu erlauben, Gewerkschaften beizutreten.
Nach Angaben der Telekommunikationsgewerkschaft Communication Workers of America (CWA) versuchte das Unternehmen mit Drohungen und Einschüchterung, Organisationsversuche zu unterbinden. In einer Kampagne, die die Gewerkschaft als »brutal« bezeichnet, habe »die Konzernleitung Memos und Direktiven verteilt, die Managern Anweisungen dazu erteilen, wie sie Organisationsversuche stoppen und ihren Sicherheitsleuten befehlen sollen, Arbeiter, die sich organisieren wollen, zu schikanieren. (…) Das höhere Management weigert sich sogar, überhaupt mit Vertretern von den CWA zu reden.«
UNI wollte die Deutsche Telekom durch eine internationale Rahmenvereinbarung einbinden. »Während ein solches Abkommen unter dem alten Management der Deutschen Telekom schon kurz vor dem Abschluss stand«, habe »das derzeitige Management sich geweigert, jegliche Dokumente zu unterschreiben, die seine Kampagne für den Ausschluss von Gewerkschaften behindern könnten«, so UNI. Doch auch die Unterzeichnung einer Rahmenvereinbarung ist keine Garantie dafür, dass Arbeiterrechte respektiert werden. Einige andere globale Gewerkschaften haben aufgehört, derartige Vereinbarungen zu unterschreiben, da die Erfahrung mit Unternehmen wie der GEA zeigt, dass sie kein Ersatz für eine starke Gewerkschaft im Betrieb sind.
Mittlerweile haben die CWA und Verdi eine Kampagne begonnen, um das E-Mail-Postfach des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, René Obermann, mit Nachrichten zu überschwemmen, in denen gefordert wird, dass das Unternehmen »zu einer Vereinbarung kommt, um die Beeinträchtigung zu beenden und das Recht der Arbeiter, selbst über den Eintritt in eine Gewerkschaft zu entscheiden, akzeptiert wird«. Mehr als 10 000 Menschen schickten eine Mail, Obermann beauftragte einen Untergebenen damit, an jeden einzelnen Absender eine lange Antwort zu schicken, in der er das Unternehmen verteidigt. UNI hat eine ebenso detaillierte Gegendarstellung veröffentlicht.
Die Kämpfe bei T-Mobile USA und der GEA in der Türkei haben viele Gemeinsamkeiten. Es geht um Unternehmen, deren Beschäftigte sich in Deutschland gewerkschaftlich organisieren können und die mit globalen Gewerkschaftsverbänden in einen Dialog getreten sind, während etwa Wal-Mart berüchtigt dafür ist, in keinem seiner Geschäfte Gewerkschaften zuzulassen und sogar lieber eine Filiale zu schließen, als eine gewerkschaftliche Vertretung zu akzeptieren. Doch die Deutsche Telekom und die GEA handeln wie Wal-Mart, wenn sie es können. Müssen sie mit einflussreichen Gewerkschaften wie der IG Metall und Verdi verhandeln, achten diese Unternehmen darauf, sich zur »Sozialpartnerschaft« zu bekennen. Aber wenn sie es mit viel schwächeren Gewerkschaften in den USA oder der Türkei zu tun haben, schüchtern sie ihre Beschäftigten ein, entlassen Arbeiter und verhindern Kampagnen zur Gewerkschaftsorganisation.
Aber sie sind verwundbar, wie die Reaktion der Deutschen Telekom auf die E-Mail-Kampagne gezeigt hat. Sie fürchten eine negative Berichterstattung, denn diese kann sich geschäftsschädigend auswirken. E-Mail-Kampagnen sind dabei nicht das einzige Mittel, das Gewerkschaften zur Verfügung steht. Das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren und kollektive Verhandlungen zu führen, wird theoretisch durch internationale Abkommen garantiert, muss jedoch auch in demokratischen Staaten immer wieder erkämpft werden. Die Mitgliedsgewerkschaften des DGB haben bisher wenig getan, um ausländischen Mitarbeitern deutscher Unternehmen bei solchen Kämpfen zu helfen, und zweifellos könnten IG Metall und Verdi mehr tun, um die Beschäftigten der GEA und von T-Mobile USA zu unterstützen.
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Global hassen, lokal stören: Ein Treffen von Gewerkschaftern aus dem Nahen Osten in Istanbul
Sunday, December 4th, 2011Die Gewerkschaften spielten eine wichtige Rolle in den arabischen Revolten, und diese Revolten beeinflussten gewerkschaftliche Kämpfe und soziale Proteste in anderen Regionen der Welt. In Istanbul trafen Ende November auf der »Labour Start Global Solidarity Conference« Mitglieder neu gegründeter Gewerkschaften aus den Ländern des »arabischen Frühlings« Kollegen von etablierten Gewerkschaften. »100 Gewerkschaften, 30 Länder, eine Klasse«, fasste der kanadische Gewerkschafter Derek Blackadder zusammen. Die Delegierten besuchten die Streikposten vor einer Fabrik der deutschen Firma GEA. Die Arbeiter sind seit Wochen ausgesperrt, sie protestieren gegen ihre Entlassung.
Es gab aber auch einen Versuch antiisraelischer Aktivisten, die Konferenz zu sprengen. Trotz der Befürchtung, dass es Störungen dieser Art geben könnte, war entschieden worden, das Trefen in Istanbul abzuhalten. Alle bedeutenden türkischen Gewerkschaften unterstützten diese Entscheidung und bildeten ein Organisationskomitee, die Ölarbeitergewerkschaft Petrol-Is stellte ihre Räumlichkeiten zur Verfügung.
In Arbeitskreisen und auf Plena wurde über Themen wie prekäre Arbeit, die Rolle der Frauen in der Gewerkschaftsbewegung, die Organisierung migrantischer Arbeiter und globale Kampagnen diskutiert. Als ich in meiner Eröffnungsrede neben zahlreichen anderen Staaten Israel erwähnte, verließen mehrere nordafrikanische Delegierte den Raum. Danach sprach Sharan Burrow, Generalsekretärin der »International Trade Union Confederation«, über den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Unterstützung des internationalen Gewerkschaftsverbands für eine Zwei-Staaten-Lösung. Später erhoben andere Konferenzteilnehmer den Vorwurf, »Labour Start« sei ein »zionistisches« Projekt.
Bei einem Treffen versuchte ich, eine Klärung herbeizuführen und Gerüchte zu widerlegen, die seit Jahren verbreitet werden, etwa, dass »Labour Start« Nachrichten über palästinensische Arbeitskämpfe unterdrücke. Unterdessen bereiteten sich die antiisraelischen Aktivisten, geführt von einem englischen Mitglied der Socialist Workers Party, die die Hamas unterstützt, auf einen weiteren Angriff vor. Sie brachten eine »Resolution« in Umlauf, die sich gegen die Teilnahme von Repräsentanten des »rassistischen und zionistischen« israelischen Gewerkschaftsverbands Histadrut aussprach.
Die Kampagne war aus zwei Gründen befremdlich. Zum einen waren Repräsentanten der Histadrut auf der Konferenz gar nicht anwesend. Fünf israelische Staatsbürger, unter ihnen eine Araberin, nahmen teil, aber keiner von ihnen vertrat den israelischen Gewerkschaftsverband. Überdies sind Konferenzen von »Labour Start« keine Foren, um Entscheidungen für die Gewerkschaftsbewegung zu treffen, daher werden auch keine Resolutionen verabschiedet. Nun wurde das Gerücht verbreitet, ein Foto sei entdeckt worden, auf dem ich in israelischer Uniform in der Westbank zu sehen sei.
Unterdessen ging die Konferenz weiter, so debattierten palästinensische Gewerkschafter zweier rivalisierender Organisationen. Niemand erwähnte die antiisraelische Kampagne BDS (Boykott, Desinvestment, Sanktionen). An einem anderen Arbeitkreis beteiligten sich zwei Israelis, ein Araber und ein Jude, vom »Workers Advice Center«, einer linken, alternativen Gewerkschaft. Am Rand der Konferenz, in den Fluren und während der Kaffeepausen, trafen sich die Israelis mit anderen Konferenzteilnehmern, mit denen sie ansonsten nicht hätten sprechen können, unter ihnen Delegierte der unabhängigen und illegalen iranischen Gewerkschaften.
Von großem Interesse für die vielen Teilnehmer war der Arbeitskreis »Echos des arabischen Frühlings«. Gewerkschafter aus den USA, Israel und dem irakischen Kurdistan diskutierten über die Aufstände und Proteste außerhalb der arabischen Welt, die sich an den Revolten in Tunesien und Ägypten orientieren. Der kleine Raum war überfüllt mit Delegierten aus mehr als einem Dutzend Ländern, auch aus mehreren arabischen Staaten. Doch als die Sitzung begann, wollten mehrere türkische Aktivisten der BDS-Kampagne wissen, ob der israelische Sprecher ein Mitglied der Histadrut sei. Ich moderierte die Sitzung und intervenierte, um eine Unterbrechung zu verhindern. Ich sagte ihnen, dass ich Mitglied der Histadrut gewesen sei, als ich in Israel gelebt hatte, und dass Mitglieder der Histadrut willkommen seien. Die Störer waren empört, stürmten schließlich hinaus und schlugen die Tür hinter sich zu. Keiner der arabischen Delegierten folgte ihnen, die Diskussion konnte weitergehen.
Während wir über die Bewegung »Occupy Wall Street«, die sozialen Proteste in Israel und den 62tägigen Aufstand im Nordirak, den »kurdischen Frühling«, diskutierten, waren die Israel-Hasser damit beschäftigt, überall im Gebäude Plakate aufzuhängen, auf denen zu lesen war, dass die »rassistische und zionistische Histadrut« nicht willkommen sei. Eine Eskalation drohte, einer der wenigen jüdischen Konferenzteilnehmer wollte eines der Plakate herunterreißen, aber Gewalt konnte verhindert werden.
Während des Abschlussplenums gab es eine weitere Aktion der Hamas-Unterstützer, sie stürmten die Bühne und behaupteten, das Organisationskomitee der Konferenz zu repräsentieren. Nach einer langen Tirade gegen den Zionismus meldete sich ein nordafrikanischer Delegierter zu Wort und sprach sich gegen die antiisraelischen Störer aus. Am Tag nach der Konferenz trafen sich arabische Delegierte mit Repräsentanten von »Labour Start« und des »Solidarity Center« des US-Gewerkschaftsverbands AFL-CIO.
Trotz allem war die Konferenz ein Erfolg. Gewerkschafter, die gewöhnlich nicht die Möglichkeit haben, einander zu treffen, konnten ihre Erfahrungen austauschen und dazu beitragen, eine globale Solidaritätsbewegung aufzubauen. Die antiisraelischen Aktivisten hatten daran kein Interesse, sie hatten nur eine Botschaft und wollten ihren Hass gegen Juden im Allgemeinen und insbesondere Israelis zum Ausdruck bringen.
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Große Gesellschaft ohne Gewerkschaft: Der Arbeitskampf im öffentlichen Dienst Großbritanniens
Sunday, July 10th, 2011Wie viele Schulen blieben geschlossen? Wie groß war die Zahl der Jobzentren, die ihre Türen nicht öffneten? In der Berichterstattung über den Streik im öffentlichen Dienst konzentrierten sich die britischen Medien vor allem auf die Frage, welche Auswirkungen der Arbeitskampf hatte. Nach Angaben der Gewerkschaften war der Streikaufruf ein Erfolg, während die konservativ-liberale Regierung behauptete, es habe kaum spürbare Auswirkungen gegeben. Nur selten wurde darüber debattiert, warum der Ausstand am Donnerstag voriger Woche überhaupt stattfand. (more…)
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Antisemitische Propaganda beim irischen Gewerkschaftsverband
Friday, May 20th, 2011Die Website des Irish Congress of Trade Unions (ICTU) heißt »Global Solidarity«, doch für Israel gilt diese Solidarität nicht. Seit Jahren gehört die ICTU zu den Gewerkschaftsverbänden, die einen Israel-Boykott propagieren. Sie konnte die britischen Gewerkschaften zwar nicht für diese Kampagne gewinnen, doch in der irischen Arbeiterbewegung ist die Feindschaft gegenüber Israel gewachsen. (more…)
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Streiken gegen den Pharao
Sunday, February 20th, 2011Posted in Jungle World | Comments Off
Georgia on my mind
Wednesday, September 22nd, 2010»Unsere Gegner, die russischen Diplomaten, haben zwei Stimmen verloren«, sagte der georgische Außenminister Grigol Vaschadse. In der vergangenen Woche stimmten 50 Staaten einer Resolution zu, in der gefordert wird, dass aus Abchasien und Südossetien geflüchtete Georgier zurückkehren dürfen. Es gab nur 17 Gegenstimmen, doch eine Mehrheit von 86 Regierungen enthielt sich. Ohnehin ist die Resolution der UN-Generalversammlung nicht bindend, bereits in den Jahren 2008 und 2009 waren ähnliche Beschlüsse gefasst worden.
Die wachsende Unterstützung betrachtet die georgische Regierung dennoch als diplomatischen Erfolg. Präsident Michail Saakaschwili hatte im August Kolumbien und andere lateinamerikanische Länder besucht. Er wollte verhindern, dass andere Regierungen dem Beispiel des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez folgen, der die Unabhängigkeit Abchasiens anerkannt hatte.
In der georgischen Hauptstadt Tbilissi veranstaltete Amnesty International eine Pressekonferenz, um auf die Not der etwa 250 000 Binnenflüchtlinge aufmerksam zu machen. Sie waren nach dem Ausbruch des Krieges im August 2008 aus den Provinzen Abchasien und Südossetien geflohen, die nun von russischen Truppen beherrscht werden. Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew besuchte im August die beiden Provinzen, in denen die Militärführung neue Raketen stationieren will.
In den vergangenen Monaten sind einige Bücher über den Konflikt erschienen. Die historische Perspektive beschränkt sich jedoch meist auf eine Erörterung des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Um den Konflikt verstehen zu können, muss man jedoch weiter zurück in die Vergangenheit blicken.
Die Unabhängigkeit Georgiens war immer gefährdet. Im Jahr 1783 unterstellte sich die herrschende Dynastie dem Schutz Russlands. Doch bereits 17 Jahre später wurde Georgien dem Russischen Reich angeschlossen. Nach der Revoluti on erlangte das Land 1917 die Unabhängigkeit, unter Führung der Menschewisten wurde dort ein demokratischer sozialistischer Staat geschaffen. Doch 1921 befahl Stalin die Besetzung Georgiens. Es war daher von symbolischer Bedeutung, dass nach der Unabhängigkeitserklärung in den frühen neunziger Jahren die Fahne der damaligen Republik übernommen und der Tag der menschewistischen Staatsgründung, der 26. Mai, zum Nationalfeiertag erklärt wurde.
In den vergangenen 20 Jahren gab es in Georgien zahlreiche Veränderungen und politische Revolten, konstant blieb jedoch der Druck Russlands. Die russische Regierung behauptet, nur die Minderheiten in Abchasien und Südossetien zu schützen. Medwedjew und Premierminister Wladimir Putin haben diese Provinzen mit dem Kosovo verglichen und den Westen gewarnt, dass diese sich für unabhängig erklären würden, wenn das Kosovo sich von Serbien trennen darf.
Die Unabhängigkeit des Kosovo mag fragwürdig sein, doch unbestritten ist, dass dort eine Mehrheit von Albanern wohnt, die sich von Serbien unterdrückt fühlt. In Abchasien hingegen waren die Georgier die Mehrheit, bis zu den »ethnischen Säuberungen« in den neunziger Jahren. Mit russischer Unterstützung vertrieben die abchasischen Separatisten damals etwa 250 000 Menschen.
Die russische Regierung ist vor allem erbost darüber, dass Georgien sich hartnäckig jeder Einflussnahme verweigert und die Aufnahme in die Nato sowie die EU anstrebt. Gemäß der von Putin formulierten außenpolitischen Doktrin muss Russland seinen Einfluss in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion erhalten. In diesen als »nahes Ausland« bezeichneten Staaten ist die Nato nicht willkommen.
Auch die meisten georgischen Oppositionellen befürworten die Nato-Mitgliedschaft und die europäische Integration. Präsident Saakaschwili wird zugute gehalten, dass er das Land stabilisiert habe, ihm werden jedoch schwerwiegende Fehler in der Politik gegenüber Russland und eine autoritäre Innenpolitik vorgeworfen. Die Gewerkschaften kritisieren, dass Saakaschwili und seine Minister eine wirtschaftsliberale Politik betreiben, Staatsbetriebe privatisieren und jeden soziale Schutz abschaffen.
In der europäischen Linken ist das Interesse für die georgische Innenpolitik wie auch für den Konflikt mit Russland gering. Die meisten befassen sich lieber mit angeblichen israelischen Kriegsverbrechen als mit »ethnischen Säuberungen« in Georgien. Das Interesse war früher größer. Viele europäische Linke unterstützten 1921 die georgischen Menschewisten. Karl Kautsky, der mehrere Monate in Georgien verbrachte, betrachtete das Land damals als alternatives Modell eines sozialistischen Staates. Doch vom menschewistischen Georgien ist nichts übrig geblieben. Saakaschwili hat sogar eine andere Nationalfahne eingeführt, die das Rot der demokratischen Sozialisten durch explizit christliche Symbole ersetzt. Während es einige Museen gibt, die den in Georgien geborenen Stalin ehren, existiert keines, das an die menschewistische Vergangenheit erinnert.
Georgien, das weiterhin dem Druck Russlands ausgesetzt ist, soll nach dem Willen der Regierung nun ein kapitalistischer Musterstaat werden. Doch die westlichen Regierungen halten sich nicht nur mit der Kritik an Saakaschwili zurück. Da sie eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland wünschen, bleibt die Unterstützung Georgiens dürftig. Das gilt vor allem für Deutschland, dessen Politiker großes Interesse an der Erschließung der russischen Energievorräte haben.
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Kooperation statt Boykott
Thursday, July 15th, 2010Posted in Jungle World | Comments Off
Sparen wie die Eiserne Lady
Saturday, June 5th, 2010Auch außerhalb der Eurozone wird hart gespart. Die neue britische Regierungskoalition hat hierzu bereits ein umfassendes Programm vorgestellt. Dabei zeigt sich, in wessen politischer Tradition der neue Premier David Cameron steht: in der Margaret Thatchers.
von Eric Lee
Seine Koalition, so meint der neue konservative Premierminister Großbritanniens, David Cameron, sei etwas ganz Neues im Reich der Politik. Cameron möchte als jemand gelten, der, vereint mit den Liberaldemokraten, jenseits der Klassenpolitik der vergangenen Jahre hin zu etwas Neuem, zu etwas Besserem aufbricht. Die Financial Times charakterisierte das Regierungsprogramm als »bemerkenswert ambitioniert«, als eines, das »die Ordnung der öffentlichen Finanzen wiederherstellen, das politische System reparieren und die Macht den Betroffenen übertragen« werde.
In Wirklichkeit trifft nichts davon zu, vielmehr stellt das Programm eine Rückkehr zur Politik des Klassenkampfs in der Tradition von Margaret Thatcher dar. Das sollte niemanden überraschen, da sowohl Cameron selbst als auch seine Berater, wie etwa der Verteidigungsminister William Hague, ihre politische Laufbahn zu Zeiten Thatchers und John Majors antraten. Cameron wird oft mit Tony Blair verglichen, aber ein wesentlicher Unterschied ist, dass Blair als Außenseiter zum Labourchef wurde, während Cameron schon 1988, auf dem Höhepunkt der Thatcher-Ära, zum inneren Kreis der Tories gehörte.
Save the Queen? Nein, die wird nicht eingespart. Elizabeth II. verkündet die Sparpläne der Regierung
Save the Queen? Nein, die wird nicht eingespart. Elizabeth II. verkündet die Sparpläne der Regierung (Foto: PA/empics/Chris Harris)
In ihrer Wahlkampagne haben die Tories mit einer reichlich konservativen Agenda geworben, einschließlich einer Verringerung der Einkommenssteuer (zum Vorteil der Superreichen) und Einschnitten beim Kinderfreibetrag (als Sparmaßnahme auf Kosten der Armen). Das in einer Rede der Queen verkündete Regierungsprogramm besteht aus 23 neuen Gesetzen, die innerhalb der kommenden anderthalb Jahre beschlossen werden sollen. Außerdem kündigte die Regierung Kürzungen im Umfang von sechs Milliarden Pfund an – der erste Schritt eines massiven Sparprogramms, das die Reduktion und letztlich die Tilgung des Haushaltsdefizits von 150 Milliarden Pfund zum Ziel hat. Cameron sagte, er wolle die »Jahre der Waghalsigkeit und des starken Staates« beenden – dabei bezog er sich auf die 13jährige Regierungszeit der doch moderat agierenden Labourregierung. Mit »Waghalsigkeit« meinte er wohl deren Investitionen in Bildung und Gesundheit.
Die nun bekanntgegebenen Sparmaßnahmen sind symbolischer Natur, sie beinhalten etwa die Verpflichtung von Ministern zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Die wirklich schmerzhaften Einschnitte werden erst mit der Verkündung des ersten Haushalts durch Schatzkanzler George Osborne kommen. Doch auch die schon jetzt bekannt gewordenen Einschnitte stellen einen Angriff auf den Wohlfahrtsstaat, die Gewerkschaften und die Arbeiter dar. Die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (PCS) befürchtet, dass »die heutige Erklärung nur ein Vorgeschmack auf viel Schlimmeres« sei. Der PCS-Generalsekretär Mark Serwotka sagte, die Gewerkschaft mache sich »ernsthafte Sorgen um die Angestellten vieler staatlicher Unternehmen, die am Wochenende durch die Medien erfahren haben, dass ihre Jobs in Gefahr sein könnten, die jedoch seitdem keine weiteren Informationen erhalten haben«. Die Gewerkschaft glaube weder, dass große Sparmaßnahmen notwendig oder wünschenswert seien, noch halte sie es für glaubwürdig, wenn die Regierung von »sicheren Jobs spricht, aber gleichzeitig mit der Axt loszieht, um ganze Bereiche loszuwerden«. Die PCS schließt daraus: »Diese Einschnitte werden die Wirtschaft schädigen, zu Verlusten von Arbeitsplätzen führen und die Bereitstellung zentraler öffentlicher Dienste in einer Zeit gefährden, in der sie am meisten gebraucht werden. Ein Einstellungsstopp wird nach jahrelangem Stellenabbau die Arbeitsbelastung vergrößern und die Dienste gefährden, die unsere Mitglieder der Öffentlichkeit bieten.«
Der Generalsekretär der Gewerkschaft des öffentlichen Sektors (Unison), Dave Prentis, sagte, Camerons Regierung fröne »einer Politik des unverantwortlichen und ideologisch motivierten Angriffs auf den öffentlichen Sektor. Die sechs Milliarden Pfund Einsparungen sind nur der erste Schritt einer Sparpolitik, die die Armen, die Kranken und Schwachen trifft.« Er beschuldigte die Koalition, »abzusahnen zur Freude ihrer Freunde und Förderer in der City. Und die Kosten dieser kaltschnäuzigen Kürzungen werden von Firmen, Kommunen und Millionen Familien bezahlt, die sich gleichzeitig mit der Abschaffung von Hilfen und öffentlichen Dienstleistungen konfrontiert sehen.« Wie Serwotka ist auch Prentis besorgt, weil keine Details über die geplanten Kürzungen bekanntgegeben wurden. »Das Ausmaß des Schadens zeichnet sich erst langsam ab«, sagt Prentis und verweist auf Einschnitte von 135 Millionen Pfund bei der Polizei, von 230 Millionen beim Wohngeld und von 311 Millionen bei Bildungsförderungsprogrammen. »Das ist keine Effizienz – das ist Vandalismus«, so Prentis.
Die Regierung kündigt nicht nur Einschnitte bei öffentlichen Dienstleistungen an – auch im Post- und Gesundheitswesen sowie im Bildungsbereich stehen Reformen bevor. So werden die ersten Schritte zur Privatisierung der Royal Mail unternommen. Keiner anderen Regierung ist dies bisher gelungen. Die mächtige Gewerkschaft des Kommunikationssektors, die schon ähnliche Versuche seitens verschiedener Tory- und Labourregierungen zurückgeschlagen hat, hat den größten Kampf offenbar noch vor sich.
Die Regierung will auch »mehr Markt« im bisher rein steuerfinanzierten staatlichen Gesundheitswesen (NHS) durchsetzen. Nicht einmal auf dem Höhepunkt ihrer Popularität hatte Margaret Thatcher es gewagt, den sehr beliebten NHS zu demontieren. Sowohl unter den Tories als auch unter Tony Blairs »New Labour«-Regierung wurde das Gesundheitswesen nur in sehr begrenztem Rahmen privatisiert. Jetzt sehen die Tories offenbar die Gelegenheit gekommen, den NHS radikaler umzubauen. Ihr Lieblingswort lautet dabei »individuelle Wahlfreiheit«. Die Gesundheitsfürsorge soll ihrer Meinung nach von einer breiten Mischung öffentlicher, privater und ehrenamtlicher Anbieter bereitgestellt werden. Unvermeidlich wird dies zur Erosion des Prinzips der allgemeinen Gesundheitsfürsorge führen, die den Verbrauchern bisher gratis zur Verfügung gestellt wurde. Großbritannien dürfte sich so auf eine Zweiklassenmedizin zubewegen.
Die Reaktionen der Wirtschaft auf Camerons Programm waren derweil sehr positiv. Eine vom Independent in Auftrag gegebene Studie verzeichnete eine starke Zunahme der Zustimmung unter Führungskräften sowohl für Cameron und Osborne als auch für die Liberaldemokraten. Die Einschnitte und Reformen werden auch vom Arbeitgeberverband CBI in den höchsten Tönen gelobt.
All das erscheint wie ein zweites 1979, ein Déjà-vu jenes Jahres, als Margaret Thatcher an die Macht kam: Eine starke Tory-Regierung baut den Wohlfahrtsstaat ab und führt Marktreformen durch, die zur Erosion des öffentlichen Sektors führen. Aber es gibt zwei wesentliche Unterschiede zwischen damals und heute. Erstens findet der Angriff der Tories auf den öffentlichen Sektor mitten in der größten Wirtschaftskrise seit 1930 statt. Wenn die Einschnitte weitergehen, ist die wirtschaftliche Erholung Großbritanni